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Katalog : Rezensionen : 2011 : Geisteswissenschaften

Rezensionen

Geisteswissenschaften


Rezensionen: 12 Seite 1 von 2

Lars Frühsorge, Armin Hinz, Jessica N. Jacob, Annette I. Kern, Ulrich Wölfel (Hg.)

Erinnerungsorte in Mesoamerika

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Der hier besprochene Band mit insgesamt 9 Aufsätzen befasst sich vor allem mit der Frage des Geschichtsbewusstseins und damit, wie dieses an bestimmte Orte gebunden ist. Der Band ist ein Ergebnis der deutschen Mesoamerikanistik-Tagung 2006, deren Ziel darin bestand, die deutsche Mesoamerikanistik stärker an der internationalen Erinnerungsdebatte zu beteiligen. Einer deren prominentesten europäischen Vertreter, Pierre Nora, sieht einen Konflikt zwischen dem kollektiven Gedächtnis und der nationalen Historiografie. So entstehen im kollektiven Gedächtnis Rückzugsräume für diese bedrohten Erinnerungen (S. 6). Für die Mesoamerikanistik gilt zusätzlich die Aufgabe, sich kritisch mit dem "europäischen Blick" auf die indianischen Kulturen auseinanderzusetzen. Darum verlangt die Beschäftigung mit der Problematik eine ausgesprochen vielseitige Herangehensweise. Diesem Maßstab werden die Beiträge des Sammelbandes gerecht. Dabei reicht der Bogen von theoretischen Abhandlungen über eine "Anthropologie des Erinnerns" über die Rolle von Gesängen als Ort der Erinnerung bis hin zu konkreten geografischen Plätzen, die bestimmten Gruppen als Ort für ihre Erinnerungen dienen. Deutlich wird in den entsprechenden Aufsätzen gezeigt, welche komplexe Betrachtungsweise für das Verständnis der Problematik notwendig ist. Der vorliegende Sammelband bietet eine hervorragende Möglichkeit, sich mit aktuellen Forschungen zu befassen und einen Einblick in die wissenschaftliche Beschäftigung der deutschen Mesoamerikanistik zu erhalten. MK

Quelle: AmerIndian Research, Vol. 6/4 (2011), Nr. 22, Seite 267

Rezension: 23.10.2011

AmerIndian Research, Vol. 6/4 (2011), Nr. 22, Seite 267

Reihe: Geschichtswissenschaft

Lars Frühsorge, Armin Hinz, Jessica N. Jacob, Annette I. Kern, Ulrich Wölfel (Hg.) - Erinnerungsorte in Mesoamerika
978-3-8322-9794-7

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Der hier besprochene Band mit insgesamt 9 Aufsätzen befasst sich vor allem mit der Frage des Geschichtsbewusstseins und damit, wie dieses an bestimmte Orte gebunden ist. Der Band ist ein Ergebnis der deutschen Mesoamerikanistik-Tagung... » mehr

François Pic, Patrick Sauzet (éds.)

Per Q. I. M. MOK. Études de linguistique occitane moderne

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L´Association internationale d´études occitanes a voulu honorer la mémoire de Kees Mok, dont le nom restera attaché à l´excellent petit Manuel pratique de morphologie d´ancien occitan (Muiderberg, 1977), en publiant un choix de ses articles et comptes rendus critiques : quatorze articles, tous rédigés en français, parmi la cinquantaine de titres de sa bibliographie publiée en tête du volume, concernent tous la langue moderne, mis à part une prise de position critique aujourd´hui vieille de plus de vingt ans, « Néophilologie (?)», dans le débat jadis suscité par le livre de Bernard Cerquiglini (Éloge de la Variante: histoire criti que de la philologie, 1989) et un numéro Special de la revue nord-américaine Speculum (The New Philology, 1990). Les articles sont regroupés sous trois rubriques: sous Gramatica e linguistica de l´occitan contemporanéu (sept articles), on trouvera un rapide panorama des études de linguistique en occitan contemporain publiées entre 1970 et 1990, six études sur la langue d´écrivains contemporains de langue d´oc (dont certains sont aussi utilisés dans les études publiées dans la seconde partie du volume). Un seid article («L´opposition singulier/pluriel dans le parier de quelques communes du Périgord blanc», publié en 1981) est fondé sur une enquête orale menée par l´auteur lui-même dans le Périgord (points 67 et 72 de l´Atlas linguistique et ethnographique de l´Auvergne et du Limousin), où, comme beaucoup de ses compatriotes néerlandais, il a régulièrement passé ses étés. Dans L´occitan dels escrivans, sont analysés des points de syntaxe textuelle dans la prose de trois écrivains contem porains de langue d´oc, Jean Bodon, Max Rouquette et Bernard Manchet. D´una langa a l´autra envisage quelques problèmes de la traduction, qu´il s´agisse de traduction vers l´occitan, ou de l´occitan vers le néerlandais. [Françoise Vielliard.]

Quelle: Revue Bibliotèque de L´École des Chartes, Ausgabe 167, Seite 303

Rezension: 05.08.2011

Revue Bibliotèque de L´École des Chartes, Ausgabe 167, Seite 303

Reihe: Aachener Romanistische Arbeiten

François Pic, Patrick Sauzet (éds.) - Per Q. I. M. MOK. Études de linguistique occitane moderne
978-3-8322-7420-7

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L´Association internationale d´études occitanes a voulu honorer la mémoire de Kees Mok, dont le nom restera attaché à l´excellent petit Manuel pratique de morphologie d´ancien occitan (Muiderberg,... » mehr

Günter Breuer

Die Ortsnamen des Kreises Düren

Ein Beitrag zur Namen- und Siedlungsgeschichte

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Die Namenkunde, insbesondere die Siedlungsnamenkunde hat es schwer. Diese alte und traditionsreiche Teildisziplin der Sprachwissenschaft findet an rheinischen Universitäten so gut wie nicht mehr statt. Selbst in der ehemaligen landeskundlichen Hochburg, dem Institut für rheinische Landeskunde der Universität Bonn, der Heimat so berühmter Namenkundler wie Adolf Bach oder Heinrich Dittmaier, sind die Lichter buchstäblich ausgegangen. Der letzte Forscher, mit der Digitalisierung des von Dittmaier begründeten Rheinischen Flurnamenarchivs befasst, wurde im letzten Jahr in den Schuldienst verabschiedet. Neue Arbeiten zur rheinischen Ortsnamenkunde, dieser für die regionale Siedlungs-, Orts- und Sprachgeschichte so wichtigen Disziplin, sind also aus dieser Quelle nicht mehr zu erwarten.
Aber nach dem Versiegen der universitären Namenforschung liegt das Feld der rheinischen Namenkunde noch nicht völlig brach. Das belegt nachdrücklich das neueste Werk von Günter Breuer, der schon in der Vergangenheit dieses schwierige Gelände erfolgreich beackert hat.[1] Seine "Ortsnamen des Kreises Düren" nun kann man in jeder Beziehung vorbildlich nennen, und man möchte die Lektüre jedem Forscher, der sich mit den Namen seiner Heimat beschäftigt, eindringlich anraten, auch wenn damit die Gefahr heraufbeschworen wird, dass die eine oder andere Arbeit damit eher verhindert als angeregt wird. Denn der Autor demonstriert mit seiner umfangreichen Bestandsaufnahme mit schöner Selbstverständlichkeit, wie aufwendig, arbeitsintensiv und anspruchsvoll namenkundliche Forschung im Allgemeinen und erst recht im konkreten Einzelfall ist.
Das Buch ist wie ein klassisches Nachschlagewerk angelegt. Anders als in der Onomastik oft üblich, sind hier die Siedlungsnamen nicht nach ihren grammatischen Bedingtheiten, also etwa dem Bildungstypus oder der Wortbildungsmittel, gegliedert, sondern alphabetisch aufgelistet. Dies wird den namenkundlich nicht vorgebildeten Leserinnen und Lesern sicherlich den Zugang erleichtern. Außerdem korrespondiert diese Präsentation in idealer Weise mit der Gesamtkonzeption des Buches, das nicht nur als regionales Namenlexikon gelesen sein will, sondern durchaus auch als historisches Ortslexikon gelten kann und so für viele an der Regionalgeschichte des Kreises Düren Interessierte von doppeltem Nutzen sein dürfte. Breuer behandelt insgesamt 372 Siedlungsnamen, die jeweils nach den fünfzehn Städten und Gemeinden im Kreisgebiet geordnet sind. Davon sind, wenn der Rezensent richtig gezählt hat, 57 Namen von wüst gefallenen Siedlungen und auch einige Höfe- und Gutsnamen. Damit dürfte der Kreis Düren die mit Abstand besterschlossene Ortsnamensregion in Nordrhein-Westfalen sein. Die einzelnen Namenartikel sind klassisch aufgebaut. Sie beginnen jeweils mit einem umfangreichen Belegblock, der erfreulicherweise in Originale und kopiale Formen differenziert. Auch wenn im Rahmen einer solchen Dokumentation nicht sämtliche Belegstellen gelistet werden können, so sind doch alle für die sprachwissenschaftliche Analyse wichtigen Varianten dokumentiert. Ein kritischer Nachvollzug der etymologischen Folgerungen ist damit jederzeit möglich. Außerdem, das nur nebenbei, kann durch eine ausführliche Belegliste durchaus auch kollateraler Nutzen entstehen. Sehr schön ist das zum Beispiel am Ortsnamen (ON) Pingsheim zu demonstrieren, dessen Überlieferungskette Anlass zu interessanten laut- und sprachgeographischen Diskussionen bietet. Ob die Schreibungen Pynsheym. Pinzhem oder Pynssheym, wie Breuer meint, tatsächlich auf die für den Kreis Düren eher ungewöhnliche Mouillierung (im Fringschen Sinne) verweisen und deshalb die späteren Schreibungen Phingsten und Phingsheim als "abwegig" erscheinen lassen, oder die gesamte Überlieferungskette nicht eher ein typisches Beispiel ist für das Auftauchen der klassischen ripuarischen Velarisierungen mit ihren erst späten Reflexen in der Schreibung seit dem 17. Jahrhundert, darüber lässt sich an diesem schönen Beispiel trefflich streiten.
Erfreulich auch, dass Breuer konsequent zu jedem Ortsnamen die - durch Befragung mehrfach abgesicherte - mundartliche Lautung in exakter Notierung angibt. Gerade in Zweifelsfällen können dialektale Aussprachevarianten entscheidende Hinweise zur Deutung eines Namens geben. Schön zu sehen ist das z.B. beim ON Mariaweiler der in seiner dialektalen Form Melviele noch verblüffend stark an die Altbelege erinnert.
Im daran anschließenden Block referiert Berger die namenkundliche Literatur und stellt knapp und unkommentiert alle vorangegangenen Deutungen des jeweilige- Ortsnamens vor. Und das sind in der Regel nicht wenige! Diese Zusammenstellungen erlauben einen interessanten und manchmal auch amüsanten Einblick in die regionale Forschungsgeschichte, wenn etwa bei Kofferen gleich fünf oder bei Mündt sogar sechs Herleitungen miteinander konkurrieren, in vielen Deutungen die Keltomanie vergangener Zeiten zu Tage tritt, so bei den Ortsnamen Ederen, Vlatten, Merken, Merberich, D´horn, Schlich und Boich, oder in Rödingen und Mündt die Welt der Germanen mit Thing-Stätten und Nibelungen beschworen wird oder bei Ungershausen die Ungarn herbeigepilgert kommen. Auch wenn viele dieser Herleitungen heute nur noch wissenschaftshistorisch von Interesse sind, so erweist Breuer ihren Urhebern sehr zu Recht seine Reverenz und stellt die wichtigsten Namenforscher, auf die er sich immer wieder bezieht, gleich zu Beginn des Bandes ausführlich vor.
Den Kern und deshalb auch das mit Abstand umfangreichste Element eines jeden Namenartikels bildet schließlich der letzte Block, in dem Breuer seine eigenen Schlüsse aus den vorweg präsentierten Quellen zieht. Dazu skizziert er knapp, aber dennoch ausführlich, die Geschichte des jeweiligen Ortes; ein sehr erfreulicher "Mehrwert", den man sich in dieser Form bei allen namenkundlichen Werken wünschen würde. Denn so ist der Band, wie schon angedeutet, durchaus als kleine regionale Ortsgeschichte zu lesen. Die anschließende Diskussion der vorgefundendenen Deutungen und die abschließende Begründung der eigenen Ableitung der jeweiligen Ortsnamen ist sehr ausführlich und in der berücksichtigten Materialfülle geradezu vorbildlich. Jede einzelne Etymologie gerät hier zu einem Kabinettstück rheinischer Ortsnamenkunde.
Hervorzuheben ist, dass Breuer grundsätzlich sehr vorsichtig formuliert, unsichere Deutungen keineswegs verschleiert und allzu phantasievollen Etymologien in der Regel eine deutliche Absage erteilt. So verwirft er z.B. beim ON Merberich den für die "klassische" rheinische Namenkunde typischen Ansatz, hier einen der berühmten -acum-Namen sehen zu wollen und verweist dagegen auf die Überlieferung, die gerade in den alten Belegen durchweg das Grundwort -bach zeigt. Damit ist gleichzeitig ein kleines aber durchaus interessantes Rätsel einiger weniger zentralrheinischer Ortsnamen angesprochen, der anscheinend unmotivierte Wechsel des Grundworts -bach zu -berg. Diesen Wechsel erkennen wir z.B. auch beim ON Bardenberg in der Mitte des 16. Jahrhunderts [2] und vielleicht auch bei Morsbach (bei Würselen)[3] und damit etwas früher als bei Merberich, wo der erste -berg-Beleg erst aus 1715 datiert. Breuer führt auch ein Beispiel aus dem Kreis Aachen für die umgekehrte Variante an: Forensberg (1125 Fornebach). Diese seltsame Erscheinung macht die Deutung der Ortsnamen nicht leichter und entsprechend vorsichtig formuliert Breuer bei Merberich auch, das er als "Sumpfgebiet am Berg" erklärt.
Wie geradezu reflexartig die ältere Namenkunde jedweden auf -ich auslautenden Namen in einen -acum-Ortsnamen umdeutete, zeigt Breuer auch sehr anschaulich am Beispiel des ON Stetternich und führt gleichzeitig vor, wie methodisch eine exakte Analyse der Altbelege auszusehen hat. So erklären alle vorliegenden Namendeutungen den ON als *Stertiniacum, dem der lateinische Personenname Stertinius zu Grunde liegen soll, und ignorieren damit die Überlieferung, die bis ins 16. Jahrhundert nur die n-losen Formen Steterich oder Stetterich erkennen lässt. Dies macht die neue von Breuer vorgeschlagene Herleitung viel wahrscheinlicher, die als Grundwort -rich ("Bereich"; denkbar wäre auch ein abgeschliffenes -berg) annimmt und den ON als *State-rich ("Hochufer") deutet, was durchaus auch der Realprobe standhält.
Auch eine ganze Reihe anderer -acum-Zuschreibungen erscheinen in der Gesamtschau Breuers zu Recht entweder als nicht unbedingt sicher (Gürzenich, Pommerich) als äußerst zweifelhaft {Vilvenich, Köttenich) oder gar völlig unwahrscheinlich (Morschenich, Gertzen). Damit hält er sich strikt an die Regel, die Paul Derks, der wie kein zweiter in den letzten Jahren mit namenkundlichen Legenden vor allem im nördlichen Rheinland aufgeräumt hat, nicht müde wird zu betonen: "Als strenger methodischer Grundsatz hat also zu gelten, dass ohne zwingenden Grund keinem Ortsnamen ein höheres Alter zuzusprechen ist, das Jahrhunderte über die älteste Bezeugung zurück führt. Vage Mutmaßungen, gerade auch wenn sie in der Form von Tatsachen-Behauptungen auftreten, führen nur zu Zirkelschlüssen, die die Fachleute und die Laien beirren."4] Überall da, wo Breuer den gesicherten interpretatorischen Boden verlässt und sich an Spekulationen wagt, was ja durchaus auch das Salz in der Suppe namenkundlicher Forschung ist, werden Mutmaßungen als solche gekennzeichnet und somit vor allem namenkundliche Laien vor allzu gefährlichem Glatteis gewarnt.
Die werden bei der Lektüre dieses gewichtigen Bandes allerdings sehr schnell feststellen, dass jeder Herleitung, ob gesichert oder eher auf Vermutungen beruhend, immer ein ausgedehntes und mühseliges Quellenstudium vorausgeht, dessen Umfang bei 370 Ortnamen sich der Rezensent gar nicht vorstellen möchte und sich ein Laie gar nicht vorstellen kann. So fällt z.B. beim ON Boisdorf beim flüchtigen Abgleich mit Heinrich Dittmaiers bekannten Werk zu den Ortsnamen auf - dort und -heim auf, dass die dort zitierten Belege, die dessen Deutung begründen, in Breuers Liste sämtlich fehlen, was um so bedeutsamer ist, weil darunter auch der bei Lacomblet verzeichnete Erstbeleg von 1226 ist. Doch Breuer kann zeigen, dass die "von Dittmaier zitierten Altnachweisungen keineswegs eindeutig auf unser Boisdorf zu beziehen" sind und deshalb der Personennamenstamm Bugi als Bestimmungswort eher unwahrscheinlich ist.
Und dies ist nur ein Beispiel dafür, wie "bedeutsam" im wahrsten Sinn des Wortes gründliche Quellenkritik ist. Breuer führt dies bei vielen Gelegenheiten virtuos vor und demonstriert damit nachdrücklich, dass ohne Anwendung der klassischen Werkzeuge des Historikers Herleitungen von Ortsnamen notwendig Spekulation bleiben. Schöne und für nachwachsende Namenforscher sowohl illustrative wie lehrreiche Beispiele sind etwa die Quellendiskussionen in den Artikeln Heimbach (wo der "frei erfundene" Zeuge Graf Richezo de Hengebach seinen Auftritt hat), Welldorf, Stockheim, Rurdorf, Merzenich, Niederzier, Eggersheim, Rölsdorf oder Oberbollheim, um nur einige wenige zu nennen.
Selbstverständlich nehmen die großen namenkundlichen Debatten um die prominenteren Ortsnamen wie Düren (hier wird noch einmal ausführlich die Marcodurum-Problematik vorgestellt) oder Jülich auch bei Breuer entsprechenden Raum ein, aber da hier der Diskussion eigentlich keine neuen Erkenntnisse mehr abgerungen werden können, laden gerade die Artikel zu den Namen kleinerer und nicht so bekannter Orte viel mehr zum Schmökern und Entdecken ein. So überrascht die Deutung des ON Gertzen als sekundärer Siedlungsname (aus dem Gewässernamen *Gerce), weil damit auch eine Neubewertung des traditionell als - acum-Namen gedeuteten ON Gürzenich möglich wird. Allerdings zeigen die vielen "vermutlich", dass hier doch allzu viele Annahmen eine sichere Ableitung verhindern, zumal der reale Nachweis eines Gewässers noch aussteht.
Beim ON Vlatten schlägt sich Breuer wohl zu Recht auf die Seite der Gewässernamenfraktion und bringt ein mehrfach nachgewiesenes Stammwort *flad ins Spiel, das in diesem Zusammenhang zwar neu, aber, weil eigentlich nur in Norddeutschland produktiv, von ihm selbst - ebenfalls mit Recht - mit einem "vielleicht" bedacht wird. Auch beim ON Germeter favorisiert er den erstmals von Dittmaier ins Spiel gebrachten isolierten Gewässernamen mit einem Grundwort *mude ("Mündung") und führt dann als neuen Ansatz für das Bestimmungswort die Wurzel *kar ein, die man in einigen europäischen Toponymen zu erkennen glaubt Mit Vilvenich verschwindet ein weiterer Ort von der -acum-Namenkarte; den ON deutet Breuer als "Weidenfeld" (*Felven-esch), was schon Wilhelm Kaspers diskutiert hatte. Völlig neu ist auch die Deutung des ON Serrest als einen ursprünglichen -apa-Gewässernamen, was bei den überlieferten Altbelegen auf den ersten Blick doch überraschend ist.
Den ON Boslar erklärt Breuer zwar als klassischen -lar-Namen, er lehnt allerdings die bislang anerkannte Deutung des Bestimmungswortes als Waldbezeichnung Busch mit der Begründung ab, im Althochdeutschen sei das Wort erst im 12. Jahrhundert aufgetaucht. Er favorisiert dagegen als Bestimmungswort Buchs, die aus dem lateinischen BUXUS entlehnte Bezeichnung für das bekannte immergrüne Gewächs.[5]
Sehr zu begrüßen ist, dass Breuer grundsätzlich von allzu fantasievollen Deutungen Abschied nimmt und immer bemüht ist, möglichst einfache, auf die regionale Sprachgeschichte rekurrierende Erklärungen zu suchen. So wie er die Zahl der -acum-Namen deutlich reduziert, lässt er auch kaum eine der in der alten rheinischen Ortsnamenkunde so beliebten Ableitungen aus römischen Matronennamen oder gar den Namen keltischer Muttergottheiten gelten. Dies gilt z.B. für den ON Hambach, der oft aus dem keltischen Göttinnennamen HAMAVEHAE erklärt, und für den ON Ellen, der auf die Matrone HELLIVESA zurückgeführt wird. Ähnlich ergeht es den Deutungen, die Ortsnamen mit fränkischen Stammesnamen in Verbindung bringen. So bestimmt Breuer den ON Huchem, der in der älteren Literatur noch als "Wohngebiet der Chauken" gedeutet worden ist, schlicht als "hoch gelegenen Wohnplatz", den ON Selgersdorf, von Kaspers mit den Salfranken verknüpft, als einen Ort, der "mit Sal-Weiden bestanden" ist.
Diese Tendenz zu einfacheren, auf den volkssprachigen Grundlagen beruhenden Deutungen, durchzieht erfreulicherweise das gesamte Werk. Lediglich bei den - oft nur angenommenen - Hydronymen (z. B. Embken, Wenau, Müntz), handele es sich auch um noch so kleine oder unbedeutende Gewässer, und dabei vor allem bei Namen mit n-Ableitungen (z. B. Eilen, Ellen, Ederen), erkennt Breuer regelmäßig "voreinzelsprachige", keltische oder indogermanische Stämme.[6] Diese wohl auf H. Krähe zurückgehende automatisierende Identifizierung als alt-europäische Flussnamen sollte in Einzelfällen doch noch einmal einer eingehenden Prüfung unterzogen werden, gilt es doch heute als sicher, dass z.B. das Bilde-Element -n- noch lange im Germanischen weiter gelebt hat (siehe die Flussnamen Laupe, Sieg, Dill).[7]
Aber bei einer so imposanten Fülle von Namen, wie sie in diesem umfangreichen Werk behandelt, bei derart vielen Fakten, wie sie hier präsentiert werden, bleibt es nicht aus, dass die Lektüre in Einzelfällen zu alternativen Schlussfolgerungen oder auch Fragen führen kann: So scheint es nicht ganz so schlüssig, das Bestimmungswort im ON Düppelsmühle zur rheinischen Wortfamilie um Tippel zu stellen, da dies zum einen der Anlaut erschwert, zum anderen die Bedeutung "Baumgipfel" geographisch sehr eingeschränkt ist. Auch Dittmaier (Anmerkung 45) behauptet das nicht. Der bergtechnische Begriff Schnorre, der dem ON Schnorrenberg zugrunde liegen soll, ist nirgendwo belegt (Was spricht gegen die Deutung von Dittmaier?). Die Ableitung der ON Kofferen und +Kuffheim aus Kofen/Koben ist deshalb problematisch, weil das Wort gerade nicht im Rheinland heimisch war und ist. Der im Artikel zum ON Inden genannte ON Schweilbach hat angesichts der Altbelege wohl nichts zu tun mit dem Verb "schwellen",[8] und auch die Argumentation gegen das Bestimmungswort "Wiese" beim ON Wissersheim ist nicht unbedingt einleuchtend, denn mhd. wise fordert nicht unbedingt den Langvokal.
Wenn es nicht gerade den Spaß an der Namenkunde ausmachte, so verböte sich angesichts der vorbildlichen Methodik und beeindruckenden Materialfülle, die das Werk auszeichnen, eigentlich jegliche Diskussion. Allein ein Blick in das sehr umfangreiche Register zeigt, dass "Die Ortsnamen des Kreises Düren" weit über die Kreisgrenzen ausstrahlen. Durch die unzähligen Vergleichs- und Parallelformen, die Breuer in bester namenkundlicher Tradition zu jedem von ihm behandelten Namen bietet, ist ein Lexikon entstanden, das nicht nur den Bewohnern des Kreises, sondern wirklich allen namenkundlich interessierten Rheinländern und Rheinländerinnen nur ans Herz gelegt werden kann. In der Bibliothek des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte wird es in Zukunft ein unverzichtbares Nachschlagewerk bei allen namenkundlichen Anfragen sein.
Und wenn weiter oben davon gesprochen wurde, dass das Werk zum Schmökern einlädt, so ist das durchaus ernst gemeint gewesen. Auch wenn Günter Breuer virtuos demonstriert, welch anspruchsvolle Wissenschaft er vertritt, so wird jeder, der sich auf die Lektüre einlässt, den Band immer wieder zur Hand nehmen, um dem Autor auf seiner Reise durch die rheinische Ortsnamenlandschaft zu folgen. Entdeckungen und Aha-Erlebnisse sind garantiert. Der Kreis Düren kann um diese umfangreiche, ausführliche und vorbildliche Bestandsaufnahme nur beneidet werden. Dem Rezensenten bleibt abschließend nur, vor dieser imposanten namenkundlichen Schau den Hut zu ziehen: Chapeau!


BONN
PETER HONNEN

 

[1]Ders.: Die Siedlungsnamen der Stadt Herzogenrath. Ein Beitrag zur Namenkunde. Aachen 2000; ders.: Würselener Straßen in Vergangenheit und Gegenwart. Würselen 1993; ders.: Aquisgranum...von den warmen Wassern. Siedlungsnamen der Stadt Aachen. Ein Beitrag zur 3. Aachen 2003.

[2]Walter Hoffmann: Von Wormsalt zu Würselen, von Moresbrunno zu Morsbach. Zur Geschichte der Siedlungsnamen Würselens. In: Margret Wensky/Franz Kerff (Hrsg.): Würselen. Beiträge zur Stadtgeschichte Band 1, Köln 1989, S. 187-218, S. 193.

[3]Ebenda, S. 202.

[4]Paul Derks: Die Siedlungsnamen der Gemeinde Weeze am Niederrhein. Sprachliche und geschichtliche Untersuchungen. Mit einem Ausblick nach Geldern und Goch. Weezer Archiv Band 1 (Schriftenreihe der Gemeinde Weeze), Weeze 2006, S. 12.

[5] Es ist allerdings die Frage, ob der alleinige Rekurs auf das Althochdeutsche bei der Geschichte der zentralrheinischen Ortsnamen unbedingt immer zielführend ist (zumal bei Buchs ähnliche Probleme auftauchen). So findet ein Blick nach Belgien z.B. für den Ortsnamen Dikkebus den Altbeleg Thicabusca schon aus dem Jahr 961 (www.debrabandere.eu/fr/genealogie/3fr111_drik_ypres_ieper_dikkebus.html).

[6]Hier ist anzumerken, dass sich Wurzeletymologien zu indogermanischen Rekonstrukten heute bei Verbal- und Nominalwurzeln nicht nur auf das Indogermanische Wörterbuch von Pokorny berufen, sondern jüngere Nachschlagewerke zitiert werden sollten: H. Rix: Lexikon der indogermanischen Verben. Die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen, Wiesbaden, 2. Aufl. 2001. D.S. Wodko/B. Irslinger/C. Schneider: Nomina im indogermanischen Lexikon, Heidelberg 2008.

[7]Siehe Paul Derks: Von der Anger bis zum Schwarzbach. Die Gewässernamen des Düsseldorfer Stadtbezirks 5. Beiheft zum Heimat-Jahrbuch Wittlaer, Band 3, Ratingen 2002, S. 32f.

Quelle: Neue Beiträge zur jülicher Geschichte Band XXIII/2011 Seite 217 - 222

Rezension: 11.06.2011

Neue Beiträge zur jülicher Geschichte Band XXIII/2011 Seite 217 - 222

Reihe: Sprache & Kultur

Günter Breuer - Die Ortsnamen des Kreises Düren
Ein Beitrag zur Namen- und Siedlungsgeschichte
978-3-8322-8475-6

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Die Namenkunde, insbesondere die Siedlungsnamenkunde hat es schwer. Diese alte und traditionsreiche Teildisziplin der Sprachwissenschaft findet an rheinischen Universitäten so gut wie nicht mehr statt. Selbst in... » mehr

Karl-Heinz Anton

Suszeption der Verdorbenheit

Zur Rhetorik

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Der Titel klingt zunächst spröde und verlangt gleich nach einem Brockhaus, der über das erste Wort kaum Aufschluss gibt: S. als Annahme, Übernahme von Verdorbenheit? Reden solle verdorben sein oder sein können? Genau dies möchte der Verf. thematisieren, um Reflektion über Reden als der Grundform aller Kommunikation anzustoßen. Auf den ersten Blick ist Reflektion zwar nichts technisches, kann aber dazu beitragen, Verhalten zu verändern und Lernprozesse in Gang zu setzen. Die Bezüge des Autors verweisen darauf, dass sich das Buch als kritische Theorie versteht, als eine Dialektik der Rhetorik, mit der sich Unheil stiften lässt genau so, wie sie dazu dienen kann und muss, das Neue im eigenen Wollen auszudrücken und für politisch gesonnene Zeitgenossen das gewollte Gute anzuschieben. Der Bezug auf Niklas Luhmann könnte eine große Abstraktion mit sich bringen, wenn man sich nicht vergegenwärtigte, dass selbst noch der kleinste Betrieb als "soziales System" sich konstituiert und nur so. Bevor noch über wirtschaftliche Codes gesprochen werden kann, müssen Menschen für einen gemeinsamen Zweck integriert werden und insofern sind zwar technisch gesehen, Menschen als personale Systeme immer Umwelt im sozialen System Betrieb, aber eine Umwelt die freundlich gestimmt werden muss, wenn das Werk gelingen soll. Reden: Führungskräfte bekommen zwar ab und an Modelle von Führungsstilen vorgesetzt, die nur allzu häufig rein äußerlich bleiben, wenn in Unternehmen das hidden curriculum anderes verlangt, gar Ellenbogen, um nicht unterzugehen. Obwohl selbst dies sich u.U. nur einer Blickverengung verdankt. Reden, um das eigene Wollen wirklich werden zu lassen, setzt dort, wo es noch keine ausgefeilte Befehlsgewalt und keine ausgemachten Machtstrukturen gibt, ein erhebliches Maß von diplomatischen, aufbauenden und fördernden Elemente voraus, schließlich um im Sinne der Maslowschen Bedürfnispyramide Selbstbewusstsein zu entfalten, damit Mitarbeiter auch in fremden Situationen angemessen reagieren können. Sollte sich überdies noch Freundlichkeit einstellen, können Netzwerke mit Kunden entstehen, die noch das kleinste Unternehmen über Schwierigkeiten des Absatzes hinweghelfen. Selbst dort, wo man meint, sich auf Macht verlassen zu können, wird bei genauerem Hinsehen die stetige sanfte und wahrhaftige Überzeugungsrede Platz greifen müssen, sonst lösen sich zunächst gut dastehende Unternehmen einfach auf, in dem die besten Mitarbeiter oder Abteilungen geschlossen aussteigen. Diesen Beziehungen wird in aller Regel viel zu wenig Gewicht beigemessen, obwohl es gerade die Treueverhältnisse in den Netzwerken sind, die für Stabilität sorgen, bevor noch Preis oder Konditionenverhandlungen einsetzen. Treueverhältnisse entstehen über die Generierung und Aktualisierung von Vertrauen, das nicht einfach da oder nicht da ist, sondern wie ein Pflänzchen in einem Unternehmen und gegenüber Kunden gepflegt werden muss. Zum Aufbau von Vertrauen benötigt man mindestens ein Jahr, der Verlust dagegen kann blitzschnell erfolgen. Dies ist völlig unabhängig von der Größe eines Unternehmens zu sehen. Nur die Personen, die an den jeweiligen Grenzen des Unternehmens agieren, sind andere bzw. und agieren mit anderen Teilen der Umwelt: Vorstände z.B. mit Banken und Aufsichtsrat, Key Account Manager mit Großkunden, Entwicklungsingenieure mit Forschungsinstituten. Der Verweis auf Märkte als kalte Verteilungsmaschinen zieht nicht, denn die je spezifischen Märkte sind eben wieder Netzwerke von Menschen. Menschen lassen sich nicht einfach manipulieren wie Pferde, denen man Möhren vors Maul bindet. Die von Führungskräften zu vertretenden Redegeschichten binden sie selbst, wenn man ihnen gegenüber Vertrauen aufrechterhalten können soll. Die Bezüge des Verfassers zu Sartre sind deshalb außerordentlich wichtig. Der Blick der anderen wird durch die eigenen Redegeschichten bestimmt und gefestigte Urteile wandeln sich wieder schnell. Insofern kann man nicht auf den Glauben zurückgreifen, was einen denn das Geschwätz von gestern störe. Die vom Verfasser vorgetragene Vertiefung mit Hilfe von Sigmund Freud soll den Gedanken frei machen dafür, dass eigene Reden und Redegeschichten von zahlreichen charakterlichen Eigenschaften beeinflusst werden, die für den informativen Gehalt einer Rede sehr kontraproduktiv werden können. Reaktionen wie die: da setze sich der große Monolog wieder vor die Tafel einer Mitarbeiterbesprechung würden zeigen, dass die ganze Besprechung für die Katz ist bis hin zu inneren Kündigungen. Wer als Führungskraft nur das eigene Ego vor sich her trägt, kann die anderen der Kommunikation nicht mehr richtig wahrnehmen, selbst wenn man in der bloßen Technik des "aktiven Zuhörens" geschult ist. Wer als Vorgesetzter glaubt, die "Sau raus lassen" zu können, wird in seinem Führungsanspruch gnadenlos scheitern. Verfasser zeigt mit hoher Sensibilität genau diese möglichen Schwachstellen auf, die Scheitern im Beruf, in Vereinen oder politischen Verbänden immer wieder zur Folge haben. Wer reden will und durch Reden führen muss, sollte zunächst sich selbst in den Blick nehmen und wenigstens die Frage beantworten, was ihn selbst verletzen würde. Zwar kann niemand aus seiner Haut heraus, aber er der Tatsache eingedenk sein, wie Denken und Reden von eigenen seelischen Konflikten kontaminiert werden kann. Wir sind keine körperlosen und geschichtslosen Wesen, unser Denken wird auch durch das Triebleben gesteuert, unser körperlicher Auftritt in der Redeintensität, in der Wortwahl usw. Für neue Situationen, für spontane Eingriffe in Arbeitsprozesse gibt es kein Drehbuch. Und täglich wird das soziale System Betrieb neu konstituiert, andernfalls endet dessen Geschichte sehr rasch. Dies Buch hat zahlreiche moralphilosophische Implikationen. Moral hat ihre Quelle nicht in artifiziellen Diskursen über Begründungsprobleme, sondern in der Anerkennung des anderen Menschen, der mit einer anderen Geschichte und seelischen Lage sich in einen Arbeitszusammenhang einbringt. Kommunikative Rationalität so wenig wie strategische oder technische kann ohne dies Moment des Miteinander Redens überhaupt entstehen, geschweige denn aufrechterhalten werden. Der zunächst spröde wirkende Titel eines schmalen Buches enthält die Aufforderung: Denk nach, bevor Du mit anderen Menschen redest, ob die möglichen darin enthaltenen Verletzungen und Angriffe nicht genau das Gegenteil Deines Wollens bewirken. Sei klug in einem übergreifenden Sinne.

Quelle: 

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Dipl.-Kfm W. Teune Unternehmensberater

Rezension: 10.05.2011

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Dipl.-Kfm W. Teune Unternehmensberater

Reihe: Sprache & Kultur

Karl-Heinz Anton - Suszeption der Verdorbenheit
Zur Rhetorik
978-3-8322-9996-5

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Der Titel klingt zunächst spröde und verlangt gleich nach einem Brockhaus, der über das erste Wort kaum Aufschluss gibt: S. als Annahme, Übernahme von Verdorbenheit? Reden solle verdorben sein oder sein können? Genau... » mehr

Ali Yunes Khalid Al-Manaser

Ein Korpus neuer safaitischer Inschriften aus Jordanien

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Nachdem im Jahre 2005 als Band 6 von Semitica et Semitohamitica Berolinensia die Dissertation von Mohammed I. Ababneh, Neue safaitische Inschriften und deren bildliche Darstellungen, erschienen war (s. meine Rezension in OLZ 104/2, 2009, Sp. 210-217), wird drei Jahre später als Band 10 derselben Reihe eine weitere Dissertation über safaitische Inschriften vorgelegt. Der Verfasser der neueren Studie hat dabei in vielem die Vorgängerarbeit als Vorbild genommen, etwa bei der Anordnung der Themen, der Behandlung der Personennamen oder in der Kommentierung des epigraphischen Materials.
Die hier veröffentlichten safaitischen Inschriften stammen aus zwei in der nordjordanischen Basaltsteinwüste gelegenen Orten, nämlich aus al-Fahdah östlich vom Dorf ạs-̣Sāwī und aus dem Wādī al-Ahīmr im Hawrān-Gebirge (s. die Abb. 1 und 2 auf S. 12 und 13). Die Fundstätten safaitischer Inschriften liegen im südöstlichen Syrien, im nordöstlichen Jordanien, in Südwest-Irak und in Nordwest-Saudi-Arabien. Nach neuesten Angaben beläuft sich die Zahl der inzwischen bekanntgewordenen Texte auf etwa 28.000, wovon die meisten aus Nordost-Jordanien stammen (s. M. C. A. Macdonald, Addenda and Corrigenda, S. 2, in Literacy and Identity in Pre-Islamic Arabia. London 2009 = Variorum Collected Studies Series). Sie bestehen vorwiegend aus Personen- und Stammesnamen, enthalten jedoch des öfteren auchkurze Sätze und werden bisweilen von Zeichnungen von Menschen, Tieren und Symbolen begleitet. Übrigens bieten die safaitischen Inschriften wesentlich mehr Informationen als diejenigen Graffiti anderer schreibkundiger Nomaden aus dem südlichen Jordanien und nördlichen Saudi-Arabien (s. M. C. A. Macdonald, Literacy in an Oral Environment, in Writing and Ancient Near East-ern Society. Papers in Honour of Alan R. Millard, ed. P. Bienkowski et alii. New York/London 2005, S. 95). Von den 423 Nummern neuer safaitischer Inschriften bzw. Zeichnungen, die dem Vf. von den jenigen Personen, welche die Texte aufgenommen haben, zur Veröffentlichung überlassen wurden, stammen die Nummern 1-129 aus al-Fahdah und die Nummern 130-423 aus al-Ahimr. Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Publikation dieser neuentdeckten safaitischen Inschriften und die Untersuchung der darin vorkommenden Personennamen, Verben und Nomina unter Berücksichtigung der arabischen Quellen und unter Heranziehung der zu diesem Thema gehörenden Sekundärliteratur.
In den Abschnitten 1-3 (S. 14-18) des ersten, Die safaitischen Inschriften, betitelten Kapitels wird ein Abriß der Geschichte der Entdeckung jener Texte und ihrer Entzifferung gegeben sowie ein Überblick über die in Jordanien gesammelten Inschriften und deren Veröffentlichung. Ungewöhnlich, aber sehr begrüßenswert, ist die Auflistung von einem Dutzend in den beiden letzten Jahrzehnten von jordanischen Studenten und einer Studentin auf arabisch verfaßter Magister- und Doktorarbeiten, welche safaitische Inschriften zum Thema haben. In Abschnitt 4 und 5 über Zeit und Datierung der safaitischen Inschriften (S. 19-43) hat der Vf. viel Mühedarauf verwendet, die Periode der safaitischen Inschriften einzugrenzen, indem er aus den Texten die verschiedenen mit snt, Jahr, eingeleiteten Datierungsangaben zusammengetragen hat, die sich auf politische und kriegerische Ereignisse, in denen Nachbarvölker oder die Römer erwähnt werden, auf persönliche Begebenheiten und andere Vorkommnisse, wie etwa Naturphänomene, beziehen. Er gelangt dabei zu dem vorsichtigen Schluß, daß die safaitischen Inschriften wahrscheinlich zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. zu datieren sein dürften. Der sechste Abschnitt betitelt sich Die Gottheiten (S. 43-46). In den hier veröffentlichten Inschriften wer den von Gottheiten erwähnt der im gesamten nordwest semitischen Raum bezeugte Gott Ba´al-Samīn, Gadd-Dayf, der nabatäische Gott Dü-Sarā bzw. Dü-Sarā in beiden Schreibungen, Rudāy, Sayc haq-Qawm, Yitac und die überall verehrte Göttin Lāt, die in den Anrufungen häufiger begegnet als alle anderen aufgeführten Gottheiten zusammen. Wie die Liste der theophoren Namen S. 266 zeigt, findet sich unter den dort aufgeführten 32 Namen jedoch keine dieser Gottheiten; fünf Namen sind, wenn man das vergessene Tmlh dazurechnet, mit dem Element -Ih gebildet, und 28 mit dem Element ->I, wobei allerdings Namen, in denen das -> elidiert wurde, wie etwa YsmH, Yasmacil/Yismacil, nicht hätten unterschlagen werden dürfen. Die Stämme (S. 46-48) sind der Gegenstand des siebten Abschnitts. Von den mehr als 120 bezeugten safaitischen Stammesnamen, die in der Regel durch (dü-)āl eingeleitet werden, begegnen in den hier vorgelegten Inschriften neun, am häufigsten der Stamm Dayf, dessen Schutzgottheit Gadd-Dayf bereits erwähnt wurde, während der Stamm Msqq, dessen mögliche Vokalisierung und Deutung unsicher ist, zum ersten Mal vorkommt. Im achten Abschnitt über Die Abbildungen (S. 49-55) wird ein knapper Überblick gegeben über die die safaitischen Inschriften begleitenden menschlichen und tierischen Darstellungen, Symbole und Szenen aus Krieg, Jagd und alltäglichem Leben.
Ausfuhrlich sind die Notizen zur Orthographie und Grammatik (Zweites Kapitel, S. 56-79), wo nach der Orthographie in Anlehnung an das klassische Arabisch das Verb in den safaitischen Inschriften behandelt wird und sämtliche in der vorliegenden Arbeit sich findenden Verben aufgelistet und in den Kontext der semitischen Sprachen gestellt werden. Ebenso werden unter eigenen Paragraphen die Präpositionen und Konjunktionen, der Vokativ und der Artikel, das Demonstrativpronomen und die Personalpronomina sowie Numerus und Genus des Nomens erörtert. Bereits in das dritte Kapitel (S. 79-96) reichen Beobachtungen zur Namensfolge und Syntax in den safaitischen Inschriften (S. 79-82).
Viel Raum wird der Deutung der Personennamen (S. 83-96) gegeben, die vorwiegend arabischen Namen entsprechen und analog zum Arabischen vokalisiert werden können. Auch bei der Zuordnung der Namen zu bestimmten Nominalformen wird vorausgesetzt, daß die safaitischen Personennamen denjenigen der Araber entsprechen. Wenn bei manchen Namen eingeräumt wird, daß bis zu fünf Möglichkeiten der Vokalisierung bestehen, etwa Sbh Sabh, Sabih, Sābih, Subh und Subāh, so ist damit noch keine Vollständigkeit erreicht, wie die S. 116, Nr. 32, zusätzlich angeführten Namensformen Sabāh, Sabbāh und Sabih zeigen. Außer den Namen, die sich auf dreiradikalige Nominalformen zurückführen lassen, folgen weitere Einteilungen in Namen mit Artikel, vierradikalige Namen, mit einer Präposition gebildete Namen sowie Namen mit dem Präfix m- und mit dem Suffix -n. Bei den theophoren Namen, die, wie bereits vermerkt, ausschließlich mit dem Element -H oder -Ih minalsatznamen, Verbalsatznamen oder um Status-constructus-Verbindungen. Weitere Namensgruppen sind von Imperfektformen gebildete Personennamen oder Kurzformen von Satznamen, bei denen das theophore Element weggefallen ist. Was schließlich die Namengebung anbelangt, so finden sich Tiernamen, Körperteile oder Farben als Personennamen, Namen, die Stärke und Tapferkeit, Gastfreundschaft und Wohltätigkeit, Rettung und Schutz beinhalten, sowie Namen, die aus der Natur und Umwelt entnommen sind oder die auf Krieg und Kampf hinweisen. Unter den 572 verschiedenen Personennamen, welche in der vorliegenden Arbeit behandelt werden, werden am Schluß des Abschnitts vom Verfasser zwanzig aufgeführt, die als neue Namen zum ersten Mal in den safaitischen Inschriften begegnen. Tatsächlich sind es jedoch nicht zwanzig, sondern neunzig Personennamen, die sich hier zum ersten Mal finden, so daß der Anteil der neuen Namen in dieser Sammlung nicht dreieinhalb, sondern über fünfzehn Prozent ausmacht.
Im vierten Kapitel, Transliteration (S. 97-99), werden zu den 28 konsonantischen Phonemen des safaitischen Alphabets sämtliche in den einzelnen Inschriften vor kommende Buchstabenformen zusammengestellt und bemerkenswerte Abweichungen kurz kommentiert.
Der Hauptteil des Buches (Fünftes Kapitel, S. 100-253) ist der Veröffentlichung und Kommentierung der Inschriften und der sie begleitenden oder, wie bei den Nummern 411-423, gesondert angebrachten Abbildungen gewidmet. Unter jeder Nummer finden sich ein Faksimile des Textes und eine Transkription und Übersetzung der Inschrift, gefolgt von einem Kommentar, in welchem für die Eigennamen die Belege aus bereits veröffentlichten safaitischen Texten aufgelistet werden sowie Parallelen aus dem Frühnordarabischen, aus den übrigen epigraphisch überlieferten Sprachen der Arabischen Halbinsel, aus dem Arabischen und auch aus anderen semitischen Sprachen herangezogen werden. Was die Interpretation der Personennamen anbelangt, so läßt der Verfasser oft mehrere Möglichkeiten offen; so werden etwa S. 114, Nr. 27, bei dem Eigennamen Hq arabisch Htq „Freiheit", die Pluralform Htäq „Raubvögel" und catiq „alt; Schönheit" angeführt, obwohl der ebenfalls zitierte arabische Name cAtiq die Deutung „edel, vortrefflich" nahelegt.
In einem Anhang finden sich ein Verzeichnis der Nomina, Verben, Präpositionen und Konjunktionen (S. 254-256), sowie je ein Verzeichnis der Personennamen (S. 257-265), der theophoren Namen (S. 266), der Gottheiten, Stämme und Ortsnamen (S. 267). Nach den Abkürzungen und Zeichen (S. 267-272) folgt die Bibliographie (S. 273-292), und den Schluß bilden Photos von Inschriften (S. 293-310) sowie zwei Faksimiles von Gruppen von Inschriften (S. 311-312), bei denen man jedoch die Legenden vermißt.
Bei der aufmerksamen Lektüre des Buches habe ich mir einige Notizen gemacht, die ich in die folgenden Bemerkungen einfließen lasse. S. 59: Die Aussage, daß in den safaitischen Inschriften Vokalisierungen bezeugt seien, ist natürlich unzutreffend. - S. 64: Lies in der Übersetzung von wrd: „er kam herab, er ging hinunter" (statt: er kam, ging). - S. 69: Daß das Verb „töten" im Sabäischen als hrq erscheint, ist unrichtig; es ist auch im Sabäischen nur als hrg belegt. - Sabäisch yld und wld „bear, beget" ist so nicht korrekt, da yld die Imperfekt form von wld ist. - S. 73: Die Übersetzung des S. 179, Nr. 176, begegnenden Wortes nfst durch „Obelisk" und S. 75 durch „Monument" scheint doch wohl unangebracht zu sein; das im Glossar S. 256 neben „Obelisk" stehende „Stele" ist zutreffender. - S. 75, 77 und 80 so wie S. 132, Nr. 75, wird gml durch das ungebräuchliche „Kamelbulle" wiedergegeben, das durch das S. 241, Nr. 380, und S. 254 im Glossar verwendete korrekte „Kamelhengst" ersetzt werden sollte. - S. 76: Personennamen, die mit dem Element -hm zusammengesetzt sind, das herkömmlich als Suffix der 3. Person Maskulinum Plural erklärt wird, werden hier als mit hm, Hamm, gebildete Namen interpretiert, also bnhm, ^zhm und schm als „Hamms Sohn", „Hamms Diener" und „Hamm ist stark"; viel ansprechender ist jedoch die Deutung dieser Personennamen als „ihr Sohn", „ihre Stärke" und „ihr Gefährte" ; auch der Name cmhm, S. 164, Nr. 134, läßt wohl nur die Erklärung „ihr Onkel" zu. - S. 78: Lies arabisch: ibil (statt: ibl) „Kamele". - S. 94: Lies in der Übersetzung von Klbt: „Hündin" (statt: Hunde). - S. 105, Nr. 10: Müller 1964: 380 ist nach der Bibliographie nicht zu ermitteln; es handelt sich um W. W. Müller, Rezension von A. Jamme, The Al-cUqlah-Texts, Washington 1963, in Bibliotheca Orientalis 21 (1964), S. 379-380. - S. 107,Nr. 14: Als dritte Erklärungsmöglichkeit des Namens Srweist der Vf. darauf hin, daß syr in vorislamischer Zeit den Samstag bezeichnet und das Kind somit an einem Samstag geboren wäre; das Wort für Samstag lautet je doch im Arabischen siyār, was im Safaitischen eine Schreibung syr voraussetzen würde. - S. 108, Nr. 15 und S. 164, Nr. 134: Bei Qls könnte es sich um den griechischen Namen Ksfajoq handeln. - S. 116, Nr. 32: Der Name Sybn ist im Qatabanischen bisher nicht bezeugt;der Literaturhinweis ist falsch. - S. 120, Nr. 44: Für 5mr als Verb ist eine Bedeutung „sagen" im Sabaic Dictionary nicht verzeichnet. - S. 123, Nr. 53: Der Name Bst begegnet in einem lihyanisch-dedanischen Graffito als Bstw (JS 125), was wegen der Schreibung wohl aufeinen nabatäischen Namen hinweist. - S. 130, Nr. 69: Da Qfrt mit dem folgenden Personennamen durch bn „Sohn" verbunden ist, kann es sich nicht um einen Frauennamen handeln; dasselbe gilt S. 153, Nr. 115, vom Namen Hit. - S. 136, Nr. 82: Der minäische Name lautet Dky, der lihyanische (bzw. dedanische) Dkw (statt: Dkw). -S. 139, Nr. 88: Jamme 1965: 298 fehlt in der Bibliographie; es handelt sich dabei um A. Jamme, Documentation sud-arabe, V, in Rivista degli Studi Orientali 40 (1965), S. 287-299. - S. 139, Nr. 89: Sabäisch Myt_^m ist kein von der Wurzel myt und mit dem theophoren Element cm gebildeter Name, sondern gehört, wie die Namensform ohne Mimation, Myt1, zeigt, zur Wurzel yil, also Mayta´um. - S. 146, Nr. 102: Bei Müller 1974:146 handelt es sich nicht, wie in der Bibliographie angegeben, um Von Felsbildern und Inschriften Altarabiens, sondern um W. W. Müller, Die angeblichen „Töchter Gottes" im Licht einer neuen qatabanischen Inschrift, in Neue Ephemeris für Semitische Epigraphik 2 (1974), S. 145-148. -S. 150, Nr. 108: Arabisch habäyib (sie) ist kein Verb der Bedeutung „sich in Bewegung setzen". - S. 151, Nr. 110: Im Kommentar wird hcrd korrekt durch „das Wadi" wie dergegeben, in der Übersetzung der Inschrift sowie S. 82 heißt es dagegen „der Wadi". - Lies in der Übersetzung von r*y: „er weidete" (statt: er beweidete), desgleichen S. 158, Nr. 123 und S. 70 „er weidete (statt: er beweidete) die Kamele" sowie S. 238, Nr. 370 „er weidete (statt: er beweidete) die Schafe" und streiche im Glossar S. 255 unter r<-y das Verb „er graste". - S. 154, Nr. 118: Lies: arabisch kamā „verbergen" (statt: kamaya „sich verbergen"). - S. 155, Nr. 119: Der erste Name ist Rbnn (statt: Rbn) zu lesen und kann somit nicht Rabbän transkribiert werden. Der Name Hl, der im Kommentar HU geschrieben wird, kann weder Halīl noch Hulayl gelesen werden; vielleicht ist dazu der im Hebräischen in der Völkertafelder Genesis (10,23) überlieferte Name eines aramäischen Stammes Hül zu vergleichen. - Im Kommentar zu einer der Pferdezeichnungen schreibt der Vf., daß die langen Beine vermuten lassen, daß es ein Wildpferd darstellt; hierzu ist zu bemerken, daß es auf der Arabischen Halbinsel und im syrisch-palästinischen Raum keine Wildpferde gegeben hat, sondern Pferde erst domestiziert eingeführt wurden, so daß es sich bei der Abbildung um einen anderen Equiden handeln dürfte. - S. 159, Nr. 125: Die arabische Farbbezeichnung acfar bedeutet nicht „sehr weiß", sondern „sandfarben". - S. 161, Nr. 129: Zum Namen Mrs heißt es im Kommentar: „Vgl. dazu maräsu „to suffer, be angry" im Althebräischen". Akkadisch (nicht hebräisch) marāsu „krank, beschwerlich sein" und hebräisch nimras „krank, schlimm sein" gehören jedoch zur semitischen Wurzel mrd, die auch im Arabischen als marida „krank sein" gut bezeugt ist. - S. 178, Nr. 173: Unter der hebräischen Wurzel ndd „fliehen" wird verwiesen auf Go 486; nach dem Abkürzungs verzeichnis steht GO für W. Gesenius, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament. 18. Auflage, hrsg. von Herbert Donner, 1987ff. (so, statt: 2005), die angegebene Seitenzahl bezieht sich jedoch auf die 17. Auflage, hrsg. von Frants Buhl, 1915; dasselbe gilt S. 193, Nr. 219, für fsh „befreien" (Go 653), S. 200, Nr. 239, für syh „trocken" (Go 681) und S. 217, Nr. 290, für nahal „Bachtal" (Go 496). - S. 181, Nr. 180: Lies Syrisch mārā (statt: mārān) „Herr". - S. 187, Nr. 196: Der altsabäische Name lautet yicrdm (statt: yf-rdm). -S. 193, Nr. 219; Es wird nicht erklärt, warum an dereinzigen Stelle, an welcher die Gottheit ytj-, Yitac, vorkommt, der Name Yaitac vokalisiert wird. - S. 208, Nr. 260: Die Transkription der Inschrift ist zu lesen:Imhlm bn rb bn ^hsn (statt: Imhlm bn ^hsn bn rb bn ^hsri).- S. 212, Nr. 273: Die Transkription der Inschrift ist zulesen: Ihmlt bn shm (statt: Ihmlt shm). - S. 236, Nr. 363:Der auch anderweitig im Frühnordarabischen vorkommende Personenname yfld ist wohl nach dem ebenfallsbezeugten Nomen ~>fld „Weiser, Kundiger, Wahrsager" zudeuten, das letzlich eine Entlehnung aus akkadisch ap-kallu ist. - S. 240, Nr. 376: Von den arabischen lexikographischen Werken zieht der Vf. mit Vorliebe den Lisān al-cArab heran; so werden etwa bei der Interpretation des Namens ŠnrH die arabischen Wörter so unterschiedlicherund fragwürdiger Bedeutung wie šnär „Schande", šunnayr „sehr böser Mann", šinarat „Gang des guten Mannes" und šinnīr „eine Taubenart in der Wüste" zur Auswahl gestellt. Allerdings sind die Nominalformen der drei zuletzt genannten Wörter zu berichtigen zu šinnīr„(sehr) böser Mann", šnra/šinra „Gang eines rechtschaffenen Mannes" und šunnār „ein weißer Vogel, deram Wasser lebt". Da keines dieser Nomina zur Erklärungdes theophoren Namens in Frage kommen dürfte, erwägtman, ob nicht in šnr der viermal im Alten Testament genannte Berg šnīr zu sehen ist, der eine außerhebräische Bezeichnung für den transjordanischen Berg Hermōn ist. Daß Gottheiten Bergen zugeordnet undBerge als Wohnsitze von Göttern gedacht werden, istreligionsgeschichtlich nichts Ungewöhnliches. Auch der Hermōn zählte zu den Gottesbergen, wo der zweimal imAlten Testament erwähnte lokale Gott Bacal-Hermōn verehrt wurde, der in hellenistisch-römischer Zeit unterdem griechischen Namen Zeus megistos weiterlebte (s.W. Röllig, Artikel Hermön, in Dictionary of Deities and Demons of the Bible. Leiden 1995, Sp. 783-785). -S. 242, Nr. 385: Der Name Wdd ist nicht Wadd, Widdoder Wudd zu vokalisieren, sondern Widād, Wadüd, Wadld oder eventuell Wudayd; die drei erstgenannten Namensformen sind verzeichnet im Mu ğm asmā^ al-cArab (Sultan Qaboos Encyclopedia of Arab Names.Volume Two, Muscat, Oman 1991, S. 1857 ff.), währendman zur Diminutivform Wudayd die minäische Namensaufschrift Wdyd auf einer Gesichtsstele vergleiche(s. Mounir Arbach, Jeremie Schiettecatte and Ibrahim al-Hädi, Sancä> National Museum - Part III. Collectionof Funerary Stelae from the Jawf Valley. Sancā> 2008,S. 118, Nr. 246), die dort seltsamerweise Waddyaddtranskribiert wird. - S. 255: Lies als Übersetzung von d?nkorrekt (wie S. 238, Nr. 370): „Schafe" (statt: Schaf). -lqbt „hinterher" ist keine Präposition, sindern ein Adverb. - S. 273 ff: Erfreulich ist, daß in der Bibliographiedie arabischsprachige Literatur zum Thema der safaiti-schen Inschriften in vollem Umfang herangezogen wurde, wobei allerdings befremdlich ist, daß, wie übrigensim gesamten Buch, arabisches ğīm durchgehend g transkribiert wurde, - S. 274ff.: Daß die Namen arabischer Autoren, die mit dem Artikel beginnen, wie etwa al-Hamdānī, unter al- aufgeführt werden, ist, zumindest im Deutschen, ungewöhnlich. - S. 274f.: Der Vf. des geographischen Wörterbuchs Muğm mā sta ğm wird üblicherweise unter der Namensform al-Bakrī und nichtals al-Andalusī zitiert. - S. 278: Der Vf. des umfangreichen Lexikons Tağ al-carüs stammt aus der jemenitischen Stadt Zabid und heißt daher az-Zabldi (und nicht az-Zubaydi). - Der vorislamische Dichter, dessen Dīwān unter seinem Herausgeber at-Tāhir zitiert wird, heißt an-Nābiga ad-Dubyānī (und nicht ad-dībyānī). - S. 282:Lies unter Hayajneh: Eine altsabäische Inschrift aus Tulā (statt: Tulā). - S. 285: Lies unter L. Koehler undW. Baumgartner, Hebräisches und Aramäisches Lexikonzum Alten Testament: Lfg. 1-5, 1967-1995 (statt:Lfg. 1-4, 1967-1990). - S. 289: Bei dem Beitrag von land (1883), 804-806, handelt es sich um die Rezensionvon J. Halevy, Essai sur les inscriptions de Safa, Extraitdu Journal Asiatique, Paris 1882. - S. 290: Lies unteW. v. Soden, Akkadisches Handwörterbuch: Band I—III,1959-1981 (statt: Bandl-II, 1959).Im Vorwort (S. 5) bedankt sich der Vf. nicht nur beiden beiden Betreuern seiner Dissertation, sondern auchbei weiteren Personen, die ihn bei der Abfassung dervorliegenden Arbeit unterstützt haben. Man hätte sichfreilich gewünscht, daß eine dieser Personen das Manuskript vor der Drucklegung noch einmal einer sorgfaltigen Durchsicht unterzogen hätte, damit Stellen wieetwa diese: „In den safaitischen Inschriften sind übermeinen (für: mein) Korpus hinaus ..." (S. 59), hättenvermieden werden können, ebenso wie zahlreiche andereFehler, Versehen und Inkonsequenzen, welche in denvorangegangenen Bemerkungen nicht berichtigt wurden.Trotz dieser zu bemängelnden Unzulänglichkeiten ist eszu begrüßen, daß in der hier angezeigten Arbeit weitereneue safaitische Inschriften einer gründlichen Bearbeitung unterzogen und publiziert wurden. Bei der zunehmenden Zahl junger Jordanier, die sich mit den epigraphischen Denkmälern ihres Heimatlandes beschäftigen,besteht vielleicht die Hoffnung, daß in absehbarer Zeit die letzten bisher noch nicht bekannten safaitischen Inschriften der Basaltsteinwüste aufgenommen und veröffentlicht werden.

Quelle: 

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Orientalistische Literaturzeitung 105

Rezension: 23.03.2011

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Orientalistische Literaturzeitung 105

Reihe: Semitica et Semitohamitica Berolinensia

Ali Yunes Khalid Al-Manaser - Ein Korpus neuer safaitischer Inschriften aus Jordanien
978-3-8322-7595-2

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Anton Kolb

Machtmissbrauch in Kirche, Wissenschaft, Politik und Medien

Engagement gegen Fehlentwicklungen und Reformvorschläge

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In diesem Buch wendet sich ein engagierter Kritiker von Fehlentwicklungen in der Kirche, in Wissenschaft, Politik und Medien lautstark zu Wort. Er veröffentlicht hier seine zahlreichen Eingaben und Vorschläge, die er an Kirchenvertreter, Politiker und Journalisten geschickt hat. Ein Vorschlag ging auch an den Papst und wurde vom päpstlichen Staatssekretariat positiv beantwortet. Dabei hatte der Autor als Theologe sehr konservativ begonnen, aber er hat Fehlentwicklungen in der Kirche frühzeitig erkannt. Heute bedrückt es ihn, dass selbst die Kernschichten der Kirche oftmals zur Kirchenleitung auf Distanz gehen. Seine kritischen Stellungsnahmen beziehen sich auf den Pflichtzölibat der Priester, auf die Verhinderung des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker, auf die Zulassung der Wiederverheirateten zu den Sakramenten, die Auswahl der Priesterkanditaten. Der Autor setzt sich aber auch mit den. Entscheidungen der Bischöfe und des Papstes kritisch auseinander. Vor allem in den Enzykliken sieht er viele Widersprüche, diese seien nicht unfehlbar. In der Politik wünscht er sich mehr Transparenz und Entscheidungsfahigkeit, in den Wissenschaften mehr Verantwortung für die Folgen der Forschung, und in den Medien mehr sachliche Berichterstattung. Am Ende des Buches steht eine große Utopie: Auf dem griechischen Berg Olympos treffen sich unter dem Vorsitz des Heiligen Geistes die Vertreter aller Religionen. Sie formulieren dort ein gemeinsames Credo der Menschlichkeit, der Wahrhaftigkeit und der Geschwisterlichkeit. Damit plädiert der Autor für den Dialog der Religionen und der Kulturen, für mehr Beweglichkeit in der katholischen Kirchenleitung. Ein lesenswertes Buch eines scharfen Kritikers unserer Zeit und Kultur, der sich oft durch Übertreibungen in der Sprache Gehör verschaffen will. Zielgruppe: Theologen, Seelsorger, Religionslehrer, Politiker,Philosophen, Wissenschaftler, Lehrer, Priester und Laien. Anton Grabner-Haider

Quelle: Bücher Bord

Rezension: 15.03.2011

Bücher Bord

Reihe: Geisteswissenschaften, Sprachwissenschaften (Philosophie, Religion,...)

Anton Kolb - Machtmissbrauch in Kirche, Wissenschaft, Politik und Medien
Engagement gegen Fehlentwicklungen und Reformvorschläge
978-3-8322-9610-0

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In diesem Buch wendet sich ein engagierter Kritiker von Fehlentwicklungen in der Kirche, in Wissenschaft, Politik und Medien lautstark zu Wort. Er veröffentlicht hier seine zahlreichen Eingaben und Vorschläge, die er... » mehr

Ernst R. Sandvoss

Aufstieg und Niedergang der Weltreligionen

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Religionen, so die These von Ernst Sandvoss im Anschluss an Bertrand Russell, altern. Hunderte von Religionen, von deren Existenz nur noch Experten wissen, sind wieder verschwunden. Und was sind eigentlich Weltreligionen? Keine einzige dieser so genannten Weltreligionen hat es geschafft, trotz Terror, Verfolgung und Mord, die Weltbevölkerung für sich zu bekehren, sondern immer nur Teile derselben, und auch die nicht auf Dauer. Ein weiteres Problem liegt im Verhältnis von „Weltreligion" und Menschenrechten. Christentum und Islam enthalten, mehr oder weniger direkt, den Menschen das Recht auf freie Religionswahl vor.
In zahlreichen Kapiteln wird von Sandvoss die Problematik der Weltreligionen dargestellt. Von Priestern, Mönchen und Propheten ist die Rede, von Weltverbesserern aus Weltunkenntnis, vom Geschäft mit der Angst. Dabei zeigt sich u.a.: In ihren Welt- und Menschenbildern erweisen sich die Weltreligionen, die keinerlei überweltlichen Einfluss erkennen lassen, stark von ihren Stifterpersönlichkeiten abhängig. Zwar bestehen zwischen den asiatischen und den orientalischen oder abrahamitischen Religionen starke Unterschiede, insbesondere im Hinblick auf Schöpfung, Endzeit und Weltgericht, doch alle unterliegen, wie Staaten und Weltreiche auch, der Evolution und damit den Regeln des Aufstiegs und Niedergangs von Machtgebilden. Dabei wurzeln auch säkulare Ideologien wie Kommunismus und Kapitalismus stärker als gedacht im Christentum. Als Forderung stellt der Autor die These auf, dass reformunfähige Religionen (speziell Christentum und Islam) daran gehindert werden sollten, unlösbare Weltkonflikte zu entfesseln und die Menschheit in den Strudel ihres Niedergangs mitzureißen. Zusammenfassend schreibt der Autor: „Schon einmal kam es Nichtchristen (Heiden) teuer zu stehen, dass sie sich in einen orientalischen Sektenstreit zwischen Juden und Christen hineinziehen ließen. Eine grausame Folge von Religionskriegen und mörderischen inneren Konflikten war die Folge. (...) Das Schlimmste, was den Europäern widerfahren kann, ist, dass sie sich ein zweites Mal in die Optionsfalle orientalischer Großsekten verwickeln lassen. Die Zukunft Europas liegt weder im Christentum noch im Islam, sondern in einer globalen, freiheitlichen und technischen Zivilisation. "Sandvoss´ Buch bietet einen aufschlussreichen Überblick über den Werdegang von Religionen und liefert neue Gesichtspunkte zum Verhältnis von säkularer Emanzipation und religiösen Bevormundungsideologien. Ernst E. Sandvoss studierte Philosophie, klassische Philologie, Geschichte und Sanskrit und war bis 1994 Professor für Geschichte der Philosophie an der Universität in Saarbrücken.

Quelle: 

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Alibri Forum für Utopie und Skepsis

Rezension: 04.03.2011

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Alibri Forum für Utopie und Skepsis

Reihe: Philosophie

Ernst R. Sandvoss - Aufstieg und Niedergang der Weltreligionen
978-3-8322-8632-3

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Religionen, so die These von Ernst Sandvoss im Anschluss an Bertrand Russell, altern. Hunderte von Religionen, von deren Existenz nur noch Experten wissen, sind wieder verschwunden. Und was sind eigentlich Weltreligionen?... » mehr

Jochen Kütter

Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus Neuss

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Seit wenigen Jahren beschäftigt sich die internationale Forschergemeinde wieder vermehrt mit Fragen zur Schriftlichkeit in den römischen Provinzen. Dies dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass man seit den spektakulären Schreibtäfelchen von Vindolanda und der Aufarbeitung der Kleininschriften aus dem Schutthügel von Vindonissa die Gewissheit hat, dass die Schriftkultur der westlichen Provinzen ähnlich komplex war wie die durch die Papyri schon lange belegte Literalität im Osten des Reiches. Neben Schreibmaterial und Schreibgerät (M.Feugère / P.-Y. Lambert [Hrsg.], L’écriture dans la société galloromaine. Eléments e réflexion collective. Gallia 61, 2004, 1–192) stehen in den gallisch-germanischen Provinzen auf Grund der hiesigen Erhaltungsbedingungen vor allem die zahlreichen Graffiti auf Gefäßkeramik im Fokus des Interesses. Die anzuzeigende Arbeit von Jochen Kütter über die Graffiti aus Neuss steht in der Tradition einer ganzen Reihe analoger Grafittopublikationen in einer vergleichsweise gut erschlossenen Forschungslandschaft. Im Gegensatz zu anderen römischen Provinzen, deren Graffitomaterial erst in allerjüngster Zeit punktuell vorgelegt wurde oder gerade bearbeitet wird – zum Beispiel die südliche Germania superior mit Augst und Avenches –, sind die Graffiti der Germania inferior bereits vor einiger Zeit in einer größeren Fläche erfasst worden, zumindest soweit sie 1975 im Landesmuseum Bonn greifbar waren (B. Galsterer-Kröll, Graffiti auf römischer Keramik im Rheinischen Landesmuseum Bonn. Epigr. Studien 10 [Köln und Bonn 1975]). Dazu kommen separate Veröffentlichungen der Graffitibestände einzelner Orte wie Asberg (T. Bechert, Steindenkmäler und Gefäßinschriften. Funde aus Asciburgium 4 [Duisburg 1976]) oder des im nördlichen Teil der Großprovinz Germania gelegenen Militärstützpunktes Haltern (B. Galsterer, Die Graffiti auf der römischen Gefäßkeramik aus Haltern. Bodenaltertümer Westfalens 20 [Münster 1983]). Gleichzeitig mit dem anzuzeigenden Titel entstanden ist eine Arbeit über Graffiti aus Xanten (St. Weiß-König, Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus dem Bereich der Colonia Ulpia Traiana/Xanten [in Vorb.]). Mit der Arbeit von Kütter liegen nun die Graffiti auf Gefäßkeramik aus Novaesium (Neuss) vor, deren Bearbeitung Brigitte Galsterer-Kröll bereits 1975 angeregt hatte, auf Grund anderer Verpflichtungen aber nicht weiterverfolgen konnte. Es handelt sich um eine 2007 am Institut für Kunstgeschichte und Archäologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn abgeschlossene Dissertation, die schon ein Jahr später in einem der heute günstigen Dissertationsdrucke erscheinen konnte. Der Autor hatte sich bereits in seiner Magisterarbeit mit den Graffiti aus dem Clemens-Sels- Museum in Neuss beschäftigt und gemeinsam mit Carl Pause einen populärwissenschaftlichen Ausstellungskatalog vorgelegt (Geritzt und gestempelt. Schriftzeugnisse aus dem römischen Neuss [Neuss 2006]). Die Arbeit wird schon auf Grund des Fundplatzes auf großes Interesse stoßen, ist doch Neuss für die provinzialrömische Archäologie in Deutschland ein besonderer Ort. Novaesium wurde um 16 v. Chr. gegründet und gehört damit zu den frühesten Militärstandorten am Rhein. Es blieb das gesamte erste Jahrhundert über durch Legionen beziehungsweise Legionsvexillationen besetzt. Auch wenn wir heute wissen, dass die unter Agrippa ausgebaute Südnordstraße quer durch Gallien bis zum Niederrhein nicht in Neuss endete, sondern weiter den Rhein entlang bis nach Nimwegen führte, ändert dies nichts an der Rolle von Neuss als einem bedeutenden Aufmarschplatz für das römische Heer gerade in der offensiven augusteisch-frühtiberischen Phase. Offenbar war der Stützpunkt immer nur für kurze Zeit belegt, und so folgten östlich des Meertals zwischen Rhein und Erftmündung bis Anfang der vierziger Jahre des ersten Jahrhunderts mindestens zehn Holz-Erde-Lager mit diversen Bauphasen aufeinander. Als Besatzungen lassen sich Vexillationen in wechselnder Stärke und Zusammensetzung annehmen. Schlaglichtartig wird die Besatzung während der Meutereien nach dem Tod des Augustus deutlich: Laut Tacitus (Ann. 1, 31) lagen damals die Hauptteile der Legionen I, V Alaudae, XX Valeria Victrix und XXI Rapax im Gebiet der Ubier am Rhein, und zwar in einem namenlosen Sommerlager, das üblicherweise mit Novaesium gleichgesetzt wird. In der Frühzeit war Neuss also Sammelplatz, Durchgangslager und Nachschubbasis in einem, besaß eine hohe Truppenfluktuation und war vom Charakter her sehr ähnlich den immer wieder aufgesuchten Lagerplätzen Dorsten-Holsterhausen oder Trebur-Geinsheim, wenn auch ziemlich sicher mehr oder weniger durchgehend belegt. In den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren änderte sich der Charakter des Stützpunktes zu einem fest verorteten Truppenstandort (castra hiberna) an der Flussgrenze. Östlich des bisherigen Lagerareals wurde ein neues Legionslager errichtet, das nach seinem Ausgräber »Koenenlager« genannt wird und auf Grund seines vollständig anmutenden Ruinenplans einer der Klassiker des Faches geworden ist. Es wurde wohl noch von der Legio XX Valeria Victrix errichtet, und im Verlauf des großen Truppenrevirements zu Anfang des claudischen Britannienfeldzugs 43 n. Chr. bezog die Legio XVI hier Quartier. Diese wiederum wurde nach dem Bürgerkrieg 69/70 n. Chr. durch die Legio VI Victrix ersetzt, die bis zum Ende des Lagers (Terminus post quem 103) in Neuss stationiert war. Nach einem gewissen Hiatus wurde ungefähr in der Mitte des zweiten Jahrhunderts im Bereich der ehemaligen Mittelgebäude ein Auxiliarlager eingerichtet, das vermutlich über das Jahr 260 hinaus bestand. Auf Grund seiner Forschungsgeschichte ist Novaesium nicht einfach zu verstehen, denn trotz einiger Publikationen der innerhalb der Limesforschungen groß angelegten Novaesium-Reihe ist der Militärstandort Neuss für uns bis heute nicht wirklich greifbar. Die bisherige Strategie, die Neusser Großgrabungen getrennt nach Sachgruppen auszuwerten, hat sich letztlich als verfehlt erwiesen. Darüber hinaus sind die im Lauf der Grabungen mehrfach wechselnden Lagerbezeichnungen und auch Datierungen für den Außenstehenden kaum noch nachzuvollziehen, so dass der Autor gut daran tut, Topografie und Chronologie von Novaesium in einleitenden Kapiteln recht kurz abzuhandeln und nur tabellenartig auf die Ergebnisse der laufenden Neubearbeitung der Befunde durch Michael Gechter zu rekurrieren (mit Konkordanz alter und neuer Lagerbezeichnungen auf dem Arbeitsstand von 2004). Der Verfasser hat große Mühen unternommen, die in zahlreichen Sammlungen und Museen weit verstreuten Funde aus Neuss zusammenzuführen und aufzunehmen. Den Hauptteil des Katalogs bilden die Altfunde der Sammlung Heinrich Sels vor 1907, die überwiegend aus den Sels’schen Ringofenziegeleien im Bereich der frühen Lagerstrukturen A-I aufgesammelt wurden, sowie die heute im Landesmuseum Bonn aufbewahrten Funde aus der Grabung Koenen im Areal des Lagers K und die Graffiti aus den sämtliche Areale von Novaesium umfassenden Schwerpunktgrabungen zwischen 1955 und 1983. Da keine komplette Durchsicht der tonnenweise angefallenen Scherbenmassen möglich war, hat Kütter mittels einfacher Zufallsstichprobe geprüft, ob die aus Inventarlisten und eigener Suche erfasste Stückzahl repräsentativ für den Gesamtbestand ist, ein eigentlich recht simples Verfahren, das gerade bei der Aufnahme von Altmaterial zum Standard werden sollte, um die Aussagekraft des eigenen Material besser einschätzen zu können. Erfasst wurden so unter anderem 957 Ritzungen, fünf Pinselaufschriften (Dipinti; Kat. 604, 704, 754, 816 und 817), ein Stempel auf einer Amphorenwandung (Kat. 401) und eine vor dem Brand des Gefäßes mit Tonschlicker aufgetragene Inschrift (Kat. 253). Insgesamt sind es 964 Nummern, die in einem kommentierten Fundkatalog, dem Hauptteil der Publikation, vorgelegt werden (S. 102–231). Dessen Vorbemerkungen wiederholen zum Teil einiges aus dem sechsten (Zur Methode der Wiedergabe der Graffiti) und siebten Kapitel (Auswertung des Materials, besonders 7.1–7.3.2). Hier wäre eine Straffung der Informationen nützlich gewesen. Das Ziel der Arbeit war nach den Worten des Autors natürlich »eine Erfassung der Graffiti und nicht eine keramikkundliche Bestimmung der Schriftträger« (S. 33). Trotzdem bilden Schriftträger und Schrift eine unzertrennliche Einheit und müssen dementsprechend dokumentiert werden, zeichnerisch oder im Foto. Auf den Schwarzweißtafeln sind jedoch nur die Graffiti selbst wiedergegeben, ohne dass in allen Fällen die Position der Schrift auf dem jeweiligen Gefäß klar wird. Die Graffiti wurden mittels direkt auf die Keramikoberfläche gelegter flexibler Folien durchgezeichnet, dies aber, soweit an den wenigen Farbfotografien nachvollziehbar, keineswegs allzu genau. Im Vergleich zum Beispiel zu den Zeichnungen bei M. Scholz, Graffiti auf römischen Tongefäßen aus Nida-Heddernheim (Frankfurt a. M. 1999) wird deutlich, dass durch diese Unschärfen gerade der Duktus der Beschriftung nicht mehr eindeutig zu bewerten ist. Die Datierungen der Graffiti im Katalog orientieren sich bei der Terra Sigillata an Stempeldatierung, Gefäßform, Fundstelle und Fundumständen, wobei letztere vom Leser nicht überprüfbar sind, da sie nur mündlich durch den Bearbeiter Michael Gechter mitgeteilt wurden (S. 102 Anm. 359). Der Verfasser tut auf jeden Fall gut daran, das Material für die Auswertung gegenüber den genauen Datierungen im Katalog in nur drei grob unterteilte Perioden zu scheiden; mehr gibt das Material im Ganzen nicht her: Periode I: Augusteisch-tiberisch (Lager A-I) Periode II: Claudisch bis um 100/105 n. Chr. (Koenenlager K) Periode II: von 100/105 n. Chr. bis »3./4. Jh.« (u. a. Auxiliarlager L) Da eine Gesamtübersicht über die Anzahl der datierten Stücke fehlt, sei dies hier nachgeholt: Periode I: 273 (= 28,3 Prozent); Periode II: 413 (42,8 Prozent); Periode III: 116 (12,0 Prozent); Periode I und II: 50 (5,2 Prozent); Periode II und III: 18 (1,9 Prozent); Periode I–III: 15 (1,6 Prozent); unbestimmbar: 79 (8,2 Prozent). Es ist also keineswegs so, dass das augusteischtiberische Material überwiegt, wie man beim bisherigen Publikationsstand der Keramik aus Neuss denken könnte, sondern auf Grund der flächigen Freilegung liegt der Schwerpunkt auf dem Koenenlager und dessen Canabae. Im zweiten Jahrhundert dünnt die Reihe der beschrifteten Keramik rasch aus, die jüngsten Stücke sind eine Handvoll Scherben aus dem Ende des zweiten und dem Anfang des dritten Jahrhunderts (Kat. 396, 534, 750, 844, 958 und vielleicht 963). Wie auch an anderen Militärstandorten festgestellt wurde, sind uns heute Graffiti in Neuss vor allem auf Terra Sigillata überliefert (710 von 964 = 73,65 Prozent). Es folgen Schriftzeichen auf Amphoren mit 161 Stück (= 16,7 Prozent des Gesamtbestands) und 93 auf »sonstigem Geschirr« (= 9,5 Prozent; Daten nach Tabelle S. 32 umgerechnet). Entgegen der Aufteilung in Abbildung8 werden die Amphorenbeschriftungen unter dem Kapitel »Graffiti auf anderer Keramik« und nicht eigenständig abgehandelt, was sicher sinnvoll gewesen wäre, weil deren Kennzeichnungen einem ganz anderen Zweck unterlagen. Insgesamt passt sich der Graffitibestand von Neuss gut in den bekannten Forschungsstand ein. Unter den Stichworten »Zweck der Beschriftung« und »Gestaltung und Anbringung der Graffiti« kann Kütter daher nur wenig Neues beitragen. Die allermeisten Graffiti waren wohl Eigentumsmarkierungen. Formal lassen sich zwei Arten solcher Kennzeichnungen unterscheiden: (1) Einzelbuchstaben mit einem Überwiegen von X-Zeichen; (2) Namensgraffiti in verschiedenen Versionen, nämlich einfachen Nomina und Cognomina oder ausgeschriebenen beziehungsweise abgekürzten Dua oder Tria nomina. Auffällig ist, dass die zum Beispiel im Bestand des Kölner Flottenlagers an der Alteburg so häufig beobachteten Kerben in Standringen oder Rändern von Terra-Sigillata-Gefäßen (A. Düerkop / P. Eschbaumer, Die Terra Sigillata im römischen Flottenlager an der Alteburg in Köln. Das Fundmaterial der Ausgrabung 1998. Kölner Stud. zur Arch. d. röm. Provinzen 9 [Rahden 2007] 219–224) in Neuss eher selten vorzukommen scheinen (etwa Kat. 421). Die Auswertung nach Sprache und Schrift (Kap. 7.4.1 und 7.4.2) ist zwar immer noch obligatorisch bei Graffitovorlagen, aber auf Grund des spröden Schreibgrundes und der Zeichenhaftigkeit sind der paläographischen Auswertung von Graffiti von vornherein enge Grenzen gesetzt. In Neuss auffällig sind allein die recht hohe Anzahl und die Vielfalt von Ligaturen (S. 48). Es folgen einige Namenlisten – aufgeteilt in »einfache Namen«, »mehrteilige Namen« und »Tria nomina und Kombinationen aus 3 und mehr Buchstaben« –, die aber keine wirkliche Auswertung erfahren. Leider wird hier und auch an anderer Stelle nie konsequent zwischen Graffiti ante und post cocturam, also vor oder nach dem keramischen Brand unterschieden. Ähnlich sind in den Namenslisten beispielsweise auch Dipinti auf Amphoren berücksichtigt, und damit Namen von Personen, die ganz sicher nie in Novaesium weilten und deren Einbeziehung das Bild verfälscht. In dem überwiegend militärisch geprägten Umfeld von Novaesium überrascht es nicht, dass Frauennamen, mit nur drei sicheren Nennungen, kaum vertreten sind (Kat. 7, 662, 521 und vielleicht 610). Insgesamt recht selten ist auch der Nachweis eines Besitzerwechsels bei einem Terra-Sigillata-Teller (Kat. 21) sowie der Sonderfall eines Monogramms, das aus jeder Richtung gelesen immer wieder »val« ergibt (Kat. 89). Aus wirtschaftshistorischer Sicht geben die Graffiti aus Neuss nur sehr karge Informationen; unter anderem sind ein Salbenhändler (Seplasiarius, Kat. 316, Lesung allerdings nicht ganz sicher) und nur wenige Warenbezeichnungen vertreten (Sal – Salz, Kat. 470 und 488; Rumex – Sauerampfer, Kat. 940). Angesichts der oben dargelegten, recht unklaren Truppendislokation in Novaesium hatte man große Hoffnungen, mit Hilfe entsprechender Namensgraffiti auf die geographische Herkunft einzelner Soldaten und damit vielleicht auch auf die Herkunft ganzer Truppenteile schließen zu können (so etwa Christoph B. Rüger in: H. Chantraine u. a., Das römische Neuss [Stuttgart 1984] 19). Zu diesem Fragenkomplex kann der Verfasser tatsächlich einiges Neue beitragen, und dies gehört zu den wichtigen Ergebnissen der Arbeit. So findet sich eine Konzentration augusteisch-tiberischer Graffiti mit griechischen Namen im Bereich der Lager A-I nahe des Rheinlaufs. Der Autor vermutet hier wohl zu Recht einen Hafen der Militärflotte, deren Angehörige in jener Zeit zu einem Großteil aus dem griechischen Osten rekrutiert wurden. Zudem kann er in Neuss einen überproportionalen Anteil hispanischer Namen ausmachen, die man wohl mit den beiden jeweils aus Spanien nach Novaesium abkommandierten Legionen V Alaudae (im Jahr 9 n. Chr.) und VI Victrix (nach 69 n. Chr.) in Verbindung bringen kann, auch wenn Kütter in diesem Punkt mit gutem Grund sehr vorsichtig bleibt. Der für den Rezensenten interessanteste Punkt beschließt die Arbeit: Im Zusammenhang mit den zeichenartigen Symbolen, wie etwa Stern, Radmuster oder Hahnenfuß, kommt der Verfasser auf die zahlreichen X-Zeichen zu sprechen, die sich auf rund einem Fünftel der Objekte finden. X-Zeichen wurden auch schon von anderen Autoren erkannt und meist als Eigentumsmarken von Analphabeten gedeutet. Für diese Zeichen, insbesondere im Standring von Terra-Sigillata- Gefäßen, schlägt der Autor nun eine interessante neue Interpretation als Kennzeichnung von Gefäßen zweiter Wahl vor. In Analogie zu neuzeitlichen Beispielen (beispielsweise der Porzellanmanufaktur in Meißen) sollen diese Zeichen noch am Produktionsort zur Markierung minderer, aber noch verkaufbarer Qualitäten angebracht worden sein, etwa auch, um an Zollgrenzen nicht den vollen Steuersatz auf die geminderte Ware entrichten zu müssen. Er stützt seine These mit der bemerkenswerten Tatsache, dass alle in Neuss zum Beispiel anhand von unebenen Standringen, Lunkern oder Brennrissen als qualitätsgemindert erkannte Stücke tatsächlich ein X oder einen Stern aufweisen. Seine Theorie könnte auch das öfters beobachtete gleichzeitige Vorkommen von Namensgraffito und X-Zeichen auf ein und demselben Gefäß erklären. Natürlich fordert Kütters Interpretation eine grundsätzliche Diskussion geradezu heraus, ob man neuzeitliche Standards derart auf die Antike übertragen kann. Einige Töpferpapyri legen immerhin nahe, dass sich der Warenwert auch bei einfachem Tongeschirr unter anderem an äußerlichen Mängeln wie Schmauchspuren orientieren konnte (P. Oxy. 50.3595 vom 5. September 243 n. Chr.). Und auch bei kaiserzeitlichen Grabausstattungen gibt es immer wieder das Phänomen von mitgegebenen Fehlbränden oder – wie es oft in der Literatur heißt – »Gefäßen zweiter Wahl«. Die Mehrzahl der X-Zeichen als Markierungen von Gefäßen zweiter Wahl zu verstehen, ist eine originelle Idee, die in Zukunft ernsthaft zu prüfen sein wird. Der Autor gibt auch den weiteren Weg der Forschung mit einem ganzen Katalog von Fragen vor (S. 99). In erster Linie ist hier an eine Überprüfung von Beständen aus Terra-Sigillata-Töpfereien und Warenlagern beziehungsweise Händlerdepots zu denken. Die S. 94–97 gegebene Liste dementsprechender Geschirrdepots wäre zum Beispiel um die Funde vom Magdalensberg, von Cala Culip, Mainz-Weisenau, Bingen, Echzell, Ober-Florstadt oder Sankt Pölten ergänzbar. Die mögliche Interpretation als Ware zweiter Wahl zwingt auch dazu, bei künftigen Graffitovorlagen noch mehr als bisher auf den Schriftträger und dessen Qualität zu achten. Insgesamt ist Kütters Arbeit ein Gewinn, obwohl sie einige Unsicherheiten zeigt, wenn beispielsweise von den Canabae eines Aalenlagers (S. 98) die Rede ist oder das gehäufte Vorkommen von Vorratsgefäßen als nur zu natürlich angenommen wird, weil sie aus einer Fabrica des sogenannten Basartyps stammen (S. 29). Mit den Graffiti aus Neuss wird aber auch einmal mehr deutlich, dass den Möglichkeiten zur Interpretation von Graffiti sehr enge Grenzen gesetzt sind, und dass frühere Hoffnungen, anhand der Graffiti entscheidend zur Kenntnis der geographischen und sozialen Herkunft der an einem Militärstandort versammelten Personen beitragen zu können, wohl doch zu optimistisch waren.

Quelle: 

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Bonner Jahrbücher, Band 208, 2008 (geschrieben von Alexander Heising)

Rezension: 01.03.2011

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Bonner Jahrbücher, Band 208, 2008 (geschrieben von Alexander Heising)

Reihe: Geschichtswissenschaft

Jochen Kütter - Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus Neuss
978-3-8322-7237-1

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Seit wenigen Jahren beschäftigt sich die internationale Forschergemeinde wieder vermehrt mit Fragen zur Schriftlichkeit in den römischen Provinzen. Dies dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass man seit... » mehr

Marc Engels

Die "Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes"

Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik

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Die Berufsbiographie des bekannten und einflussreichen Kölner Wirtschaftshistorikers Bruno Kuske (1876-1964) ist das Thema der aufschlussreichen Aachener Dissertation von Marc Engels. Der Autor skizziert zunächst die akademische Sozialisation Kuskes (S. 39ff.), der von 1903 bis 1908 am Historischen Archiv der Stadt Köln seine Edition Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter erarbeitete (4 Bde., 1917-1923 publiziert), sich 1908 an der Kölner Handelshochschule habilitierte und 1912 dort eine Dozentenstelle für Wirtschaftsgeschichte übernahm. Von 1917 bis 1951 war der Sozialdemokrat Bruno Kuske dann der erste wirtschaftshistorische und wirtschaftsgeografische Ordinarius an einer deutschen Hochschule. Ehrgeiz, ein ausgeprägtes Streben nach materieller und öffentlicher Anerkennung sowie Sozialprestige kennzeichneten ihn ebenso wie Staats- und Autoritätsfixierthek. Engels kann überzeugend darlegen, dass der Wissenschaftler Kuske sich als Dienstleister für das politische und ökonomische System [verstand], der wirtschaftshistorisch-geographisches Wissen für Planungsaufgaben bereitstellte (S. 49): Kuske bemühte sich darum, die Geopolitik in die Wirtschaftsgeografie zu integrieren und in seiner Wirtschaftsraumlehre die konstituierenden natürlichen und historischen Faktoren eines Wirtschaftsraumes zu analysieren und als Entscheidungsgrundlage für die Politik aufzubereiten (S. 48). Engels zeichnet in seiner Untersuchung ausführlich nach, wie sich Kuskes von geopolitischem Großraumdenken geprägter Ansatz seit den Jahren des Ersten Weltkriegs über die Weimarer Republik und die NS-Zeit bis in den Zweiten Weltkrieg entwickelte und mehr und mehr radikalisierte, und wie er dabei zeitgenössische Theoreme wie Volk, Rasse und die Lebensraumtheorie in seine Arbeiten [inkorporierte] (S. 48). Kuskes Forschungen und Publikationen sind vor allem dem Wirtschaftsraum der Rheinlinie gewidmet, der für ihn mit angrenzenden Räumen vielfach verflochten war und dessen Zentrum für ihn die Stadt Köln darstellte. Betätigte sich Kuske während der Weimarer Zeit von Köln aus als unermüdlicher Forschungsorganisator und Netzwerker in der neuen Raumforschung sowie der Westforschung, der Volksforschung und der empirischen Wirtschaftsforschung, so ist hier bereits eine zunehmende Politisierung seiner Arbeit (S. 109) zu erkennen. Der >Politikberater< Kuske war in den Medien - auch dem modernen Radio - massiv präsent, vertrat lokale und regionale Interessen, etwa der Stadt Köln, fertigte parteiische Auftragsgutachten, hielt zahlreiche Vorträge, popularisierte die Wirtschaftsgeschichte im großen Stil und wirkte auch an wichtigen Ausstellungen mit. Stilisierte sich der Sozialdemokrat Kuske nach 1945 als Opfer und Gegner des Nationalsozialismus (kurzzeitige Verdrängung und Entzug des Lehrstuhls1933/34, mehrwöchige Inhaftierung nach dem 20. Juli 1944), so kommt Engels´ eingehende Untersuchung seines Agierens in den Jahren von 1933 bis 1945 zu einem deutlich anderen Befund: Der Kölner Wirtschaftshistoriker legte im nationalsozialistischen Deutschland nicht nur einen ausgesprochenen Opportunismus an den Tag (Ulrich S. Soenius), sodass er seine Karriere als Hochschullehrer und Publizist ungebrochen fortsetzen konnte. Vielmehr ging seine >Anpassung< soweit, dass Kuske in der Presse omnipräsent (S. 127) blieb, bei politischen Schulungen oder Propagandaveranstaltungen auftrat und seine Forschungsbemühungen und zahllosen Veröffentlichungen reibungslos in den Dienst der Lebensraumvorstellungen des NS-Regimes stellte. Der >Politikberater<, Netzwerker und Organisator von universitärer und außeruniversitärer Forschung wurde etwa im Rahmen der nationalsozialistischen Reichsstelle für Raumordnung sowie der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung aktiv, und Kuske leitete schließlich die Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Kölner Universität, deren Arbeit der nationalsozialistischen Expansionspolitik diente.) Als in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkriegs für die diversen Planungsstäbedes NS-Regimes ethnische und ökonomische Neuordnungen - vor allem im Osten, aber auch in Westeuropa - auf die Agenda rückten, begann für die West-und Raumforschung eine neue Phase. Hatten Kuskes Arbeiten schon in der Weimarer Zeit eine antiwestliche Stoßrichtung aufgewiesen, so gestaltete sich sein von einer Großraumideologie geprägtes Konzept einer westeuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft in dieser Phase zunehmend zur Zwangsvereinigung Westeuropas unter deutscher Herrschaft: Es war als ein germanischer Wirtschaftsraum in Nordwesteuropa konstruiert, in welchem den anderen Völkern nach völkischen beziehungsweise rassischen Kriterien bestimmte dienende beziehungsweise >ergänzende< Funktionszuweisungen zukamen (S. 187). Die Forschungsbemühungen, Publikationen und Ausstellungsarbeiten Kuskes sowie seiner Kollegen kreisten in immer raumgreifenderen und aggressiveren Varianten (S. 363) um dieses asymmetrisch gestaltete ökonomische Großraumkonzept, das vor allem die Niederlande, Belgien sowie Nordfrankreich erfasste, und als dessen Kern nach wie vor Köln fungierte. Im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkriegs entwickelte der ehrgeizige Kölner Wirtschaftshistoriker und Wirtschaftsgeograf - zusätzlich zu seiner Netzwerkarbeit und seiner Publikationstätigkeit in den besetzten Westgebieten - dann auch eine geradezu erstaunliche Präsenz innerhalb nationalsozialistischer Medien auf Reichsebene (S. 266). Das im Haupttitel von Engels´ zitierte Schlagwort von der imaginären Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes prägte Kuske in einem Aufsatz für die Zeitschrift Westland 1934/44. Hinter diesem Organ stand die SS, und die Zeitschrift postulierte für den Westen eine >Gemeinschaft< zwischen den deutschen Herrschern und den Beherrschten, die für die Zwecke der deutschen Ostaggression instrumentalisiert werden sollte (S. 267). Kuske lieferte für die offiziellen Publikationen der westlichen Besatzungsverwaltungen [...] das wirtschaftsgeographisch-historische Expertenwissen als Herrschaftslegitimierung (S. 269) und war - so Engels - explizit bereit, sich an politischer Zweckmäßigkeit zu orientieren (S. 270). Von 1942 bis 1944 war Kuske schließlich intensiv in die Germanische Forschungsaufgabe involviert. Es handelte sich um ein Großraumforschungsprojekt der SS, welches als Forschungsverbund für den Westen eine komplementäre Lebensraumplanung zu den Ostplanungen darstellen sollte und aus einem Niederlande- sowie einem Belgien-Nordfrankreich-Programm bestand. Seine nachträglichen Distanzierungsbemühungen aus dem Jahr 1945 kann Engels widerlegen (S. 351). Nach Kriegsende konstruierte Kuske sich im Sommer 1945 einen neuen Lebenslauf, indem er Weglassungen und Erfindungen, Über- und Untertreibungen, Halb- und Unwahrheiten kombinierte (S. 371). In diversen Funktionen und als Hochschullehrer versuchte der Wissenschaftsmanager Kuske nun noch einmal vergeblich, eine gleichsam defensive Variante seiner Westforschung in einer staatlich gelenkten Raumforschung durchzusetzen. Marc Engels´ detaillierte Studie über Bruno Kuske liefert zahlreiche neue Erkenntnisse zur sogenannten Westforschung sowie den beteiligten Akteuren und stellt damit einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus dar. Zugleich ist seine Untersuchung auch für die Regionalgeschichte der NS-Zeit von großem Interesse.Stefan Wunsch, Köln

Quelle: shVerlag

Rezension: 24.02.2011

shVerlag

Reihe: Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte

Marc Engels - Die "Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes"
Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik
978-3-8322-6642-4

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Die Berufsbiographie des bekannten und einflussreichen Kölner Wirtschaftshistorikers Bruno Kuske (1876-1964) ist das Thema der aufschlussreichen Aachener Dissertation von Marc Engels. Der Autor skizziert zunächst die... » mehr

Jochen Kütter

Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus Neuss

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Jochen Kutter, Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus Neuss.
Shaker Verlag, Aachen 2008. 253 Seiten, 25 Abbildungen, 67 Schwarzweißtafeln, 3 Farbtafeln, I Kartenanhang.

Seit wenigen Jahren beschäftigt sich die internationale Forschergemeinde wieder vermehrt mit Fragen zur Schriftlichkeit in den römischen Provinzen. Dies dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass man seit den spektakulären Schreibtäfelchen von Vindolanda und der Aufarbeitung der Kleininschriften aus dem Schutthügel von Vindonissa die Gewissheit hat, dass die Schriftkultur der westlichen Provinzen ähnlich komplex war wie die durch die Papyri schon lange belegte Litera-lität im Osten des Reiches.
Neben Schreibmaterial und Schreibgerät (M. Feugère / P.-Y. Lambert [Hrsg.], L´écriture dans la société gallo-romaine. Elements e réflexion collective. Gallia 61, 2004, 1-192) stehen in den gallisch-germanischen Provinzen auf Grund der hiesigen Erhaltungsbedingungen vor allem die zahlreichen Graffiti auf Gefäßkeramik im Fokus des Interesses.
Die anzuzeigende Arbeit von Jochen Kutter über die Graffiti aus Neuss steht in der Tradition einer ganzen Reihe analoger Grafittopublikationen in einer vergleichsweise gut erschlossenen Forschungslandschaft. Im Gegensatz zu anderen römischen Provinzen, deren Graffitomaterial erst in allerjüngster Zeit punktuell vorgelegt wurde oder gerade bearbeitet wird — zum. Beispiel die südliche Germania superior mit Äugst und Avenches -, sind die Graffiti der Germania inferior bereits vor einiger Zeit in einer größeren Fläche erfasst worden, zumindest soweit sie 1975 im Landesmuseum Bonn greifbar waren (B. Galsterer-Kröll, Graffiti auf römischer Keramik im Rheinischen Landesmuseum Bonn. Epigr. Studien 10 [Köln und Bonn 19-75]). Dazu kommen separate Veröf¬fentlichungen der Graffitibestände einzelner Orte wie Asberg (T. Bechert, Steindenkmäler und Gefäßinschriften. Funde aus Asciburgium 4 [Duisburg 1976]) oder des im nördlichen Teil der Großprovinz Germania gelegenen Militärstützpunktes Haltern (B. Galsterer, Die Graffiti auf der römischen Gefäßkeramik aus Haltern. Boden¬altertümer Westfalens 20 [Münster 1983]). Gleichzeitig mit dem anzuzeigenden Titel entstanden ist eine Arbeit über Graffiti aus Xanten (St. Weiß-König, Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus dem Bereich der Colonia UlpiaTraiana/Xanten [in Vorb.]).
Mit der Arbeit von Kutter liegen nun die Graffiti auf Gefäßkeramik aus Novaesium (Neuss) vor, deren Bearbeitung Brigitte Galsterer-Kröll bereits 1975 an¬geregt hatte, auf Grund anderer Verpflichtungen aber nicht weiterverfolgen konnte. Es handelt sich um eine 2007 am Institut für Kunstgeschichte und Archäologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn abgeschlossene Dissertation, die schon ein Jahr später in einem der heute günstigen Dissertationsdrucke erscheinen konnte. Der Autor hatte sich bereits in seiner Magisterarbeit mit den Graffiti aus dem Clemens-Sels-Museum in Neuss beschäftigt und gemeinsam mit Carl Pause einen populärwissenschaftlichen Ausstellungska¬talog vorgelegt (Geritzt und gestempelt. Schriftzeugnisse aus dem römischen Neuss [Neuss 2006]).
Die Arbeit wird schon auf Grund des Fundplatzes auf großes Interesse stoßen, ist doch Neuss für die provinzi-alrömische Archäologie in Deutschland ein besonderer Ort. Novaesium wurde um 16 v. Chr. gegründet und gehört damit zu den frühesten Militärstandorten am Rhein. Es blieb das gesamte erste Jahrhundert über durch Legionen beziehungsweise Legionsvexillationen besetzt. Auch wenn wir heute wissen, dass die unter Agrippa ausgebaute Südnordstraße quer durch Gallien bis zum Niederrhein nicht in Neuss endete, sondern weiter den Rhein entlang bis nach Nimwegen führte, ändert dies nichts an der Rolle von Neuss als einem bedeutenden Aufmarschplatz für das römische Heer gerade in der offensiven augusteisch-frühtiberischen Phase. Offenbar war der Stützpunkt immer nur für kurze Zeit belegt, und so folgten östlich des Meertals zwischen Rhein und Erftmündung bis Anfang der vierziger Jahre des ersten Jahrhunderts mindestens zehn Holz-Erde-Lager mit diversen Bauphasen aufeinander. Als Besatzungen lassen sich Vexillationen in wechselnder Stärke und Zusammensetzung annehmen. Schlaglichtartig wird die Besatzung während der Meutereien nach dem Tod des Augustus deutlich: Laut Tacitus (Ann. 1, 31) lagen damals die Hauptteile der Legionen I, V Alaudae, XX Valeria Victrix und XXI Rapax im Gebiet der Ubier am Rhein, und zwar in einem namenlosen Sommerlager, das üblicherweise mit Novaesium gleichgesetzt wird. In der Frühzeit war Neuss also Sammelplatz, Durchgangslager und Nachschubbasis in einem, besaß eine hohe Truppenfluktuation und war vom Charakter her sehr ähnlich den immer wieder aufgesuchten Lagerplätzen Dorsten-Holsterhausen oder Trebur-Geinsheim, wenn auch ziemlich sicher mehr oder weniger durchgehend belegt.
In den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren änderte sich der Charakter des Stützpunktes zu einem fest verorteten Truppenstandort (castra hiberna) an der Flussgrenze. Östlich des bisherigen Lagerareals wurde ein neues Legionslager errichtet, das nach seinem Ausgrä¬ber »Koenenlager« genannt wird und auf Grund seines vollständig anmutenden Ruinenplans einer der Klassiker des Faches geworden ist. Es wurde wohl noch von der Legio XX Valeria Victrix errichtet, und im Verlauf des großen Truppenrevirements zu Anfang des claudischen Britannienfeldzugs 43 n. Chr. bezog die Legio XVI hier Quartier. Diese wiederum wurde nach dem Bürgerkrieg 69/70 n.Chr. durch die Legio VI Victrix ersetzt, die bis zum Ende des Lagers (Terminus post quem 103) in Neuss stationiert war. Nach einem gewissen Hiatus wurde ungefähr in der Mitte des zweiten Jahrhunderts im Bereich der ehemaligen Mittelgebäude ein Auxiliar-lager eingerichtet, das vermutlich über das Jahr 260 hinaus bestand. Auf Grund seiner Forschungsgeschichte ist Novaesium nicht einfach zu verstehen, denn trotz einiger Publikationen der innerhalb der Limesforschungen groß angelegten Novaesium-Reihe ist der Militärstandort.
Neuss für uns bis heute nicht wirklich greifbar. Die bisherige Strategie, die Neusser Großgrabungen getrennt nach Sachgruppen auszuwerten, hat sich letztlich als verfehlt erwiesen. Darüber hinaus sind die im Lauf der Grabungen mehrfach wechselnden Lagerbezeichnungen und auch Datierungen für den Außenstehenden kaum noch nachzuvollziehen, so dass der Autor gut daran tut, Topografie und Chronologie von Novaesium in einleitenden Kapiteln recht kurz abzuhandeln und nur tabellenartig auf die Ergebnisse der laufenden Neubearbeitung der Befunde durch Michael Gechter zu rekurrieren (mit Konkordanz alter und neuer Lagerbezeichnungen auf dem Arbeitsstand von 2OO4).
Der Verfasser hat große Mühen unternommen, die in zahlreichen Sammlungen und Museen weit verstreuten Funde aus Neuss zusammenzufuhren und aufzunehmen. Den Hauptteil des Katalogs bilden die Altfunde der Sammlung Heinrich Sels vor 1907, die überwiegend aus den Sels´schen Ringofenziegeleien im Bereich der frühen Lagerstrukturen A-I aufgesammelt wurden, sowie die heute im Landesmuseum Bonn aufbewahrten Funde aus der Grabung Koenen im Areal des Lagers K und die Graffiti aus den sämtliche Areale von Novaesium umfassenden Schwerpunktgrabungen zwischen 1955 und 1983. Da keine komplette Durchsicht der tonnenweise angefallenen Scherbenmassen möglich war, hat Kutter mittels einfacher Zufallsstichprobe geprüft, ob die aus Inventarlisten und eigener Suche erfasste Stückzahl repräsentativ für den Gesamtbestand ist, ein eigentlich recht simples Verfahren, das gerade bei der Aufnahme von Altmaterial zum Standard werden sollte, um die Aussagekraft des eigenen Material besser einschätzen zu können.
Erfasst wurden so unter anderem 957 Ritzungen, fünf Pinselaufschriften (Dipinti; Kat. 604, 704, 754, 816 und 817), ein Stempel auf einer Amphorenwandung (Kat. 401) und eine vor dem Brand des Gefäßes mit Tonschlicker aufgetragene Inschrift (Kat. 253). Insgesamt sind es 964 Nummern, die in einem kommentierten Fundkatalog, dem Hauptteil der Publikation, vorgelegt werden (S. 102-231). Dessen Vorbemerkungen wiederholen zum Teil einiges aus dem sechsten (Zur Methode der Wiedergabe der Graffiti) und siebten Ka¬pitel (Auswertung des Materials, besonders 7.1-7.3.2). Hier wäre eine Straffung der Informationen nützlich gewesen. Das Ziel der Arbeit war nach den Worten des Autors natürlich »eine Erfassung der Graffiti und nicht eine keramikkundliche Bestimmung der Schriftträger« (S.33). Trotzdem bilden Schriftträger und Schrift eine unzertrennliche Einheit und müssen dementsprechend dokumentiert werden, zeichnerisch oder im Foto. Auf den Schwarzweißtafeln sind jedoch nur die Graffiti selbst wiedergegeben, ohne dass in allen Fällen die Position der Schrift auf dem jeweiligen Gefäß klar wird. Die Graffiti wurden mittels direkt auf die Keramikoberflä¬che gelegter flexibler Folien durchgezeichnet, dies aber, soweit an den wenigen Farbfotografien nachvollziehbar, keineswegs allzu genau. Im Vergleich zum Beispiel zu den Zeichnungen bei M. Scholz, Graffiti auf römischen Tongefäßen aus Nida-Heddernheim (Frankfurt a. M. 1999) wird deutlich, dass durch diese Unscharfen gerade der Duktus der Beschriftung nicht mehr eindeutig zu bewerten ist.
Die Datierungen der Graffiti im Katalog orientieren sich bei der Terra Sigillata an Stempeldatierung, Gefäßform, Fundstelle und Fundumständen, wobei letztere vom Leser nicht überprüfbar sind, da sie nur mündlich durch den Bearbeiter Michael Gechter mitgeteilt wurden (S. 102 Anm. 359). Der Verfasser tut auf jeden Fall gut daran, das Material für die Auswertung gegenüber den genauen Datierungen im Katalog in nur drei grob unterteilte Perioden zu scheiden; mehr gibt das Material im Ganzen nicht her:

  • Periode I: Augusteisch-tiberisch (Lager A-I)
  • Periode II: Claudisch bis um 100/105 n. Chr. (Ko¬enenlager K)
  • Periode III: von 100/105 n. Chr. bis »3./4. Jh.« (u. a. Auxiliarlager L)
Da eine Gesamtübersicht über die Anzahl der datierten Stücke fehlt, sei dies hier nachgeholt:

Periode I: 273 (= 28,3 Prozent); Periode II: 413 (42,8 Prozent); Periode III: 116 (12,0 Prozent); Periode I und II: 50 (5,2 Prozent); Periode II und III: 18 (1,9 Prozent); Periode I-III: 15 (1,6 Prozent); unbestimmbar: 79 (8,2 Prozent).

Es ist also keineswegs so, dass das augusteisch-tiberische Material überwiegt, wie man beim bisherigen Publikationsstand der Keramik aus Neuss denken könnte, sondern auf Grund der flächigen Freilegung liegt der Schwerpunkt auf dem Koenenlager und dessen Canabae. Im zweiten Jahrhundert dünnt die Reihe der beschrifteten Keramik rasch aus, die jüngsten Stücke sind eine Handvoll Scherben aus dem Ende des zweiten und dem Anfang des dritten Jahrhunderts (Kat. 396,534,750,844, 958 und vielleicht 963). Wie auch an anderen Militärstandorten festgestellt wurde, sind uns heute Graffiti in Neuss vor allem auf Terra Sigillata überliefert (710 von 964 = 73,65 Prozent). Es folgen Schriftzeichen auf Amphoren mit 161 Stück (= 16,7 Prozent des Gesamtbestands) und 93 auf »sonstigem Geschirr« (= 9,5 Prozent; Daten nach Tabelle S. 32 umgerechnet). Entgegen der Aufteilung in Abbildung 8 werden die Amphorenbeschriftungen unter dem Kapitel »Graffiti auf anderer Keramik« und nicht eigenständig abgehandelt, was sicher sinnvoll gewesen wäre, weil deren Kennzeichnungen einem ganz anderen Zweck unterlagen.
Insgesamt passt sich der Graffitibestand von Neuss gut in den bekannten Forschungsstand ein. Unter den Stichworten »Zweck der Beschriftung« und »Gestaltung und Anbringung der Graffiti« kann Kütter daher nur wenig Neues beitragen. Die allermeisten Graffiti waren wohl Eigentumsmarkierungen. Formal lassen sich zwei Arten solcher Kennzeichnungen unterscheiden:
  • (1) Einzelbuchstaben mit einem Oberwiegen von X-Zeichen;
  • (2) Namensgraffiti in verschiedenen Versionen, nämlich einfachen Nomina und Cognomina oder ausge¬schriebenen beziehungsweise abgekürzten Dua oder Tria nomina.

Auffallig ist, dass die zum Beispiel im Bestand des Kölner Flottenlagers an der Alteburg so häufig beobachteten Kerben in Standringen oder Rändern von Terra-Si-gillata-Gefäßen (A. Düerkop / P. Eschbaumer, Die Terra Sigillata im römischen Flottenlager an der Alteburg in Köln. Das Fundmaterial der Ausgrabung 1998. Kölner Stud. zur Arch. d. röm. Provinzen 9 [Rahden 2007] 219—224) in Neuss eher selten vorzukommen scheinen (etwa Kat. 421).
Die Auswertung nach Sprache und Schrift (Kap. 7.4.1 und 7.4.2) ist zwar immer noch obligatorisch bei Graffitovorlagen, aber auf Grund des spröden Schreibgrundes und der Zeichenhaftigkeit sind der paläographischen Auswertung von Graffiti von vornherein enge Grenzen gesetzt. In Neuss auffällig sind allein die recht hohe Anzahl und die Vielfalt von Ligaturen (S. 48). Es folgen einige Namenlisten — aufgeteilt in »einfache Namen«, »mehrteilige Namen« und »Tria nomina und Kombinationen aus 3 und mehr Buchstaben« —, die aber keine wirkliche Auswertung erfahren. Leider wird hier und auch an anderer Stelle nie konsequent zwischen Graffiti ante und post cocturam, also vor oder nach dem keramischen Brand unterschieden. Ähnlich sind in den Namenslisten beispielsweise auch Dipinti auf Amphoren berücksichtigt, und damit Narnen von Personen, die ganz sicher nie in Novaesium weilten und deren Einbeziehung das Bild verfälscht. In dem überwiegend militärisch geprägten Umfeld von Novaesium überrascht es nicht, dass Frauennamen, mit nur drei sicheren Nennungen, kaum vertreten sind (Kat. 7, 662, 521 und vielleicht 610). Insgesamt recht selten ist auch der Nachweis eines Besitzerwechsels bei einem Terra-Sigillata-Teller (Kat. 21) sowie der Sonder¬fall eines Monogramms, das aus jeder Richtung gelesen immer wieder »VAL« ergibt (Kat. 89).
Aus wirtschaftshistorischer Sicht geben die Graffiti aus Neuss nur sehr karge Informationen; unter anderem sind ein Salbenhändler (Seplasiarius, Kat. 316, Lesung allerdings nicht ganz sicher) und nur wenige Waren¬bezeichnungen vertreten (Sal - Salz, Kat. 470 und 488; Rumex — Sauerampfer, Kat. 940).
Angesichts der oben dargelegten, recht unklaren Truppendislokation in Novaesium hatte man große Hoffnungen, mit Hilfe entsprechender Namensgraffiti auf die geographische Herkunft einzelner Soldaten und damit vielleicht auch auf die Herkunft ganzer Truppenteile schließen zu können (so etwa Christoph B. Rüger in: H.Chantraine u. a., Das römische Neuss [Stuttgart 1984] 19). Zu diesem Fragenkomplex kann der Verfasser tatsächlich einiges Neue beitragen, und dies gehört zu den wichtigen Ergebnissen der Arbeit. So findet sich eine Konzentration augusteisch-tiberischer Graffiti mit griechischen Namen im Bereich der Lager A-I nahe des Rheinlaufs. Der Autor vermutet hier wohl zu Recht einen Hafen der Militärflotte, deren Angehörige in jener Zeit zu einem Großteil aus dem griechischen Osten rekrutiert wurden. Zudem kann er in Neuss einen überproportionalen Anteil hispanischer Namen ausmachen, die man wohl mit den beiden jeweils aus Spanien nach Novaesium abkommandierten Legionen V Alaudae (im Jahr 9 n. Chr.) und VI Victrix (nach 69 n. Chr.) in Verbindung bringen kann, auch wenn Kutter in diesem Punkt mit gutem Grund sehr vorsichtig bleibt.
Der für den Rezensenten interessanteste Punkt beschließt die Arbeit: Im Zusammenhang mit den zeichenartigen Symbolen, wie etwa Stern, Radmuster oder Hahnenfuß, kommt der Verfasser auf die zahlreichen X-Zeichen zu sprechen, die sich auf rund einem Fünftel der Objekte finden. X-Zeichen wurden auch schon von anderen Autoren erkannt und rneist als Eigentumsmarken von Analphabeten gedeutet. Für diese Zeichen, insbesondere im Standring von Terra-Sigillata-Gefäßen, schlägt der Autor nun eine interessante neue Interpretation als Kennzeichnung von Gefäßen zweiter Wahl vor. In Analogie zu neuzeitlichen Beispielen (bei¬spielsweise der Porzellanmanufaktur in Meißen) sollen diese Zeichen noch am Produktionsort zur Markierung minderer, aber noch verkauf barer Qualitäten angebracht worden sein, etwa auch, um an Zollgrenzen nicht den vollen Steuersatz auf die geminderte Ware entrichten zu müssen. Er stützt seine These mit der bemerkenswerten Tatsache, dass alle in Neuss zum Beispiel anhand von unebenen Standringen, Lunkern oder Brennrissen als qualitätsgemindert erkannte Stücke tatsächlich ein X oder einen Stern aufweisen. Seine Theorie könnte auch das öfters beobachtete gleichzeitige Vorkommen von Namensgraffito und X-Zeichen auf ein und demselben Gefäß erklären. Natürlich fordert Kutters Interpretation eine grundsätzliche Diskussion geradezu heraus, ob man neuzeitliche Standards derart auf die Antike übertragen kann. Einige Töpferpapyri legen immerhin nahe, dass sich der Warenwert auch bei einfachem Tongeschirr unter anderem an äußerlichen Mängeln wie Schmauchspuren orientieren konnte (P. Oxy. 50.3595 vom 5. September 243 n. Chr.). Und auch bei kaiserzeitlichen Grabausstattungen gibt es immer wieder das Phänomen von mitgegebenen Fehlbränden oder - wie es oft in der Literatur heißt — »Gefäßen zweiter Wahl«.
Die Mehrzahl der X-Zeichen als Markierungen von Gefäßen zweiter Wahl zu verstehen, ist eine originelle Idee, die in Zukunft ernsthaft zu prüfen sein wird. Der Autor gibt auch den weiteren Weg der Forschung mit einem ganzen Katalog von Fragen vor (S. 99). In erster Linie ist hier an eine Überprüfung von Beständen aus Terra-Sigillata-Töpfereien und Warenlagern beziehungsweise Händlerdepots zu denken. Die S. 94-97 gegebene Liste dementsprechender Geschirrdepots wäre zum Beispiel um die Funde vom Magdalensberg, von Cala Culip, Mainz-Weisenau, Bingen, Echzell, Ober-Florstadt oder Sankt Polten ergänzbar. Die mögliche Interpretation als Ware zweiter Wahl zwingt auch dazu, bei künftigen Graffitovorlagen noch mehr als bisher auf den Schrift¬träger und dessen Qualität zu achten.
Insgesamt ist Kutters Arbeit ein Gewinn, obwohl sie einige Unsicherheiten zeigt, wenn beispielsweise von den Canabae eines Aalenlagers (S. 98) die Rede ist oder das gehäufte Vorkommen von Vorratsgefäßen als nur zu natürlich angenommen wird, weil sie aus einer Fabrica des sogenannten Basartyps stammen (S.29). Mit den Graffiti aus Neuss wird aber auch einmal mehr deutlich, dass den Möglichkeiten zur Interpretation von Graffiti sehr enge Grenzen gesetzt sind, und dass frühere Hoff¬nungen, anhand der Graffiti entscheidend zur Kenntnis der geographischen und sozialen Herkunft der an einem Militärstandort versammelten Personen beitragen zu können, wohl doch zu optimistisch waren.
Freiburg im Breisgau
Alexander Heising

Quelle: 

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Bonner Jahrbuch 208 (Jahrgang 2008, gedruckt 2010)

Rezension: 22.02.2011

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Bonner Jahrbuch 208 (Jahrgang 2008, gedruckt 2010)

Reihe: Geschichtswissenschaft

Jochen Kütter - Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus Neuss
978-3-8322-7237-1

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Jochen Kutter, Graffiti auf römischer Gefäßkeramik aus Neuss.
Shaker Verlag, Aachen 2008. 253 Seiten, 25 Abbildungen, 67 Schwarzweißtafeln, 3 Farbtafeln, I Kartenanhang.

Seit wenigen Jahren beschäftigt... » mehr

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