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Rezensionen

Rezensionen
978-3-8440-8178-7
Susanne Altmeyer
Der Guhl, das ganz Kleine und die tentakeligen Monster
Systemisches Protokoll einer EMDR-Intensivtherapie (2. Auflage)
Psychologie
Buchbesprechung
Familiendynamik, 47, S. 320-321, 27.10.2022

Dies ist ein ungewöhnliches Buch. Es beschreibt eine ungewöhnlich hochdosierte, ungewöhnlich kurze, ungewöhnlich dramatische, ungewöhnlich anschaulich beschriebene einwöchige »EMDR-Intensivtherapie". Es beschreibt diese Therapie abwechselnd aus der Perspektive der Therapeutin und der Patientin, die sich zudem ihre Protokolle der einzelnen Sitzungen am Ende dieser Woche wechselseitig zugesandt haben. Somit erzählen hier zwei Autorinnen abwechselnd die Geschichte ihrer therapeutischen Zusammenarbeit ein Ausmaß an Transparenz, das in systemischen Falldarstellungen nur selten erreicht wird.
EMDR steht als Kürzel für »Eye Movement Desensitization and Reprocessing«, also für die Entängstigung und die Wiederintegration von traumatischen Erinnerungen. Überfordernde traumatische Erlebnisse werden zwecks Selbstschutz »isoliert«, aus dem sonstigen Bewusstsein der Person ausgelagert. Als isolierte, abgespaltene, »fragmentierte« Einzelgänger treiben sie ihr Unwesen, erschrecken und terrorisieren die betroffene Person. Sie sind leider nicht oder nur schwer veränderbar, weil sie neuronal unverbunden sind mit beruhigenden und positiven bewusstseinsfähigen Gegenerlebnissen. Die Grundidee von EMDR ist nun, durch verschiedene zweiseitige Stimulationen - meist durch das Bewegen von Fingern oder Lichtreizen vor den Augen, durch abwechselndes sanftes Klopfen auf die linke oder rechte Hand, durch Töne, die über Kopfhörer abwechselnd von rechts oder links kommen - eine Wiederverbindung, Reintegration, Neuverarbeitung von traumatischen Erfahrungen gemeinsam mit anderen positiven, angstreduzierenden und stärkenden Erfahrungen zu ermöglichen. Plot des Buches ist eine einwöchige stationäre EMDR-Therapie. Diese hat die Autorin 2018 in der von ihr geleiteten Trauma-Klinik des Gezeiten Hauses Schloss Eichholz bei Köln mit einer mehrfach schwer traumatisierten Patientin von 40 Jahren durchgeführt. Die Patientin hat zuvor zahlreiche andere Therapien absolviert, teilweise auch schon mit EMDR, aber mit immer noch unbefriedigenden Gesamtergebnissen. Auf die Anfrage eines vorbehandelnden ambulanten Therapeuten kommt es daher nun zu dieser »Intensivtherapie «. Sie umfasst 27 EMDR-Therapieeinheiten von je 50 Minuten in 12 Sitzungen (Gesamtdauer 1350 Minuten), ergänzt durch einige - wenige – weitere Gruppenangebote der Klinik. In diesem Zeitrahmen werden 16 traumatische Erlebnisse mit EMDR bearbeitet, in der Reihenfolge der Schwere des Trauma-Erlebens, vom leichtesten zum schwersten Erlebnis. Dazu gehören schwere sexuelle Übergriffe durch den eigenen Vater in zwei verschiedenen Altersphasen zwischen dem dritten und dem 11. Lebensjahr; drei andersartige körperliche Übergriffe durch Fremde; zwei Suizidversuche in ihren zwanziger Jahren; das überraschende und ungeschützte Auffinden zweier Leichen in ihren dreißiger Jahren. Dazu gesellen sich mehrere traumatische körperliche Erkrankungen, gefolgt von traumatischen Behandlungserlebnissen. Das ist ein enormes Leidenspaket, das den Aufwand dieser Therapie fraglos rechtfertigt. Aber man erfährt schon zu Beginn auch Erleichterndes über die Patientin. Die Therapeutin beschreibt die Patientin im ersten Treffen als eine »große, attraktive, fantasievoll gekleidete Frau von Mitte 40«. Wir erfahren, dass sie als Psychologin schon lange und offensichtlich professionell engagiert mit psychisch kranken Menschen im Bereich der Gemeindepsychiatrie arbeitet, also im weiteren Sinne eine Berufskollegin der Therapeutin ist. Sie vermag die Therapeutin, wie schon zuvor mehrere Vorbehandler, mit ihrer offenen, differenzierten und freundlichen Art offensichtlich für sich einzunehmen. Kein schlechter Ausgangspunkt also für eine gute Patientin-Therapeutin-Beziehung und damit für einen erfolgreichen Therapieverlauf.
Zu dieser positiven therapeutischen Beziehung gesellt sich eine für jedes der 16 Trauma-Erlebnisse weitgehend ähnlich ablaufende, hochstrukturierte therapeutische Technik. Das Vorgehen sei einem Beispiel auf S. 47 entnommen. Das Trauma wird möglichst bildlich imaginiert (»Sie liegt auf dem gynäkologischen Stuhl mit gespreizten Beinen«), der dazugehörige negative Gedanke formuliert (»Ich bin ausgeliefert«), diesem ein positiver Gedanke entgegengesetzt (»Ich habe es überstanden«), die belastende Emotion (»Angst«) und die dazugehörigen Körpergefühle (»Übelkeit, Bauchschmerzen«) sowie auf einer zehnstufigen Skala der subjektiven Störungsschwere ihr Belastungsgefühl (»4«) und auf einer zweiten siebenstufigen Skala die Stimmigkeit des positiven Gedankens (»3«) erfragt. Die Therapeutin führt die Patientin durch diese immer gleichen Schritte hindurch und führt zeitgleich zur Entlastung und zur Neuverknüpfung des Bildes und des negativen Gedankens mit dem positiven Gedanken die zweiseitige Stimulation von Augenbewegungen, Körperhälften oder Tönen durch. Im Kern der Therapie steht also ein hochstandardisiertes und damit stabilisierendes Schema. Wo immer aber dieses zu belastend oder ängstigend erscheint, webt die Therapeutin zahlreiche ergänzende, Veränderung unterstützende, ressourcenorientierte therapeutische Praktiken ein. Sie schlägt der Patientin vor, sich an hilfreiche geliebte Großmütter, Freundinnen oder Haustiere als Unterstützerinnen zu erinnern. Sie schlägt vor, angsteinflößende Personen mithilfe eines Schrumpfzaubers zu verkleinern oder ein beunruhigtes Herz in eine Badewanne voller Sauerstoff zu stecken. Belastende Vorstellungen werden auf einem imaginierten Videofilm gespeichert und vorerst in einem Tresor verschlossen. Und sie erzählt Mut machende Geschichten. So gehen rigorose Standardisierung und fantasievolle Variation Hand in Hand. Zwei Monate nach Abschluss dieser Intensivwoche kommt es bei der Patientin nach mehreren externen Belastungen zu einem Teil-Rückfall, gefolgt von zwei ambulanten »Auffrischungssitzungen « im Herbst 2018. Im Frühjahr 2020 kommt es nach weiteren belastenden Erlebnissen zu einer weiteren »Ehrenrunde« der Symptome der Patientin, nun vor allem durch suchtförmigen Alkoholkonsum. Pandemiebedingt finden nun vier telefonische Kontakte statt, parallel zu einer suchttherapeutischen Rehabilitationsmaßnahme und der Teilnahme an einer Gruppe der Anonymen Alkoholiker. Die im Buch erzählte Geschichte endet im Oktober 2020 mit einer Mail der Patientin, in der eine gute aktuelle Situation berichtet und nun auch diese Buch-Publikation besprochen und vereinbart wird.
Bei aller Intensität und Anschaulichkeit des Buches vermisse ich doch auch etwas. Ich frage mich: Ist der Vater, der ja die Patientin als kleines Mädchen penetriert hat, später damit konfrontiert worden? Ist sein Verhalten zur Anzeige gebracht worden, hatte es rechtliche oder andere Konsequenzen? Hat er sich später entschuldigt? Hat es ein Gespräch darüber mit der Mutter gegeben, die ja recht aktiv weggesehen haben muss? Gab es irgendeine Täter-Opfer-Intervention? Die realen familiären Beziehungen werden im Buch nicht angesprochen, »nur« die traumatischen Erinnerungen. Nun sind reale aktuelle Beziehungen offenbar nicht Gegenstand einer EMDR, und für deren Bearbeitung gab es im vorliegenden Kontext keinen Auftrag an die Therapeutin. Aber von einem »systemischen Protokoll« auch einer EMDR-Therapie wünsche ich mir, etwas über die realen aktuellen Beziehungen der Patientin zu erfahren, ob eine Arbeit mit den realen Beziehungspersonen versucht wurde, woran sie ggf. gescheitert ist.
Was ist neben der schon erwähnten hohen Anschaulichkeit und Intensität der erzählten Geschichte so besonders an diesem Buch? Da ist die große Transparenz, die sich Patientin und Therapeutin durch den Austausch ihrer Protokolle ermöglichen. Da ist die Gleichzeitigkeit von methodischem Rigorismus und fantasievollem Methodenreichtum. Da ist die Ehrlichkeit, in der Rückfälle und Schwierigkeiten im Therapieprozess berichtet werden. Da sind die Unerschrockenheit und Ausdauer, der ausgestrahlte Optimismus und die Gelassenheit der Therapeutin. Wer Susanne Altmeyer kennt, weiß, dass sie über diese Qualitäten in reichem Ausmaß verfügt. Das Buch hat beim Lesen mein Herz und meinen Kopf gleichermaßen angesprochen und ich habe viel über EMDR dazugelernt.
Jochen Schweitzer

978-3-8440-8178-7
Susanne Altmeyer
Der Guhl, das ganz Kleine und die tentakeligen Monster
Systemisches Protokoll einer EMDR-Intensivtherapie (2. Auflage)
Psychologie
Rezension
Trauma & Gewalt, 3/2022, S. 253f., 05.08.2022

Diese kleine Büchlein birgt einen besonderen Schatz. Susanne Altmeyer, Chefärztin und Leiterin der auf Traumabehandlung spezialisierten Klinik Gezeiten Haus Schloss Eichholz bei Köln, beschreibt in aufschlussreicher Weise die intensive EMDR-Therapie mit einer Klientin über fünf Tage mit mehreren Sitzungen pro Tag. Dieses außergewöhnliche Setting allein macht schon neugierig, mehr über die Therapeutin und ihre Beweggründe für diese Vorgehensweise zu erfahren und auch über die Klientin, die sich eine solche Behandlung wünscht. Wir lesen über eine mit sowohl sequenziellen Traumata (körperliche Gewalt im ersten Lebensjahr, sexuelle Gewalt in der Kindheit) und mit einer Vielzahl von Monotraumata belasteten 44-jährigen Frau, die eine hochfrequente EMDR in kürzestem Zeitraum sucht, und eine erfahrene EMDR-Therapeutin, die bereit ist, sich auf dieses Experiment einzulassen, das in zwölf Sitzungen in fünf Tagen mündet. Die Protokolle der einzelnen Sitzungen, die konsequente Nutzung von Ressourcen (Altmeyer sieht sich selbst als »Ressourcentrüffelschwein «) und der zwischendurch aufblitzende Humor der Therapeutin tragen zu einem spannenden Leseerlebnis bei. Jede einzelne Sitzung wird mit den beim EMDR üblichen Protokollanteilen beschrieben: Ausgangserinnerung/Bild, negative Kognition, positive Kognition, Stimmigkeit des positiven Gedankens, Emotion, Körpergefühl, Stärke der empfundenen Belastung. So wird in jeder Sitzung nachvollziehbar, woran und mit welcher Intention gearbeitet wird. Ein Lehrstück in der Methode EMDR für diejenigen, die sich mit dieser präzisen und höchsteffektiven Form der Traumabearbeitung auskennen. Bei anderen weckt dieser Teil des Buches möglicherweise Interesse, EMDR zu erlernen.
Doch worin liegt der besondere Wert dieses Buches, oben als "Schatz« bezeichnet, und was bedeutet »systemisches « Protokoll im Titel des Buches? Die Klientin hat der Therapeutin ihr eigenes Therapie-Tagebuch zur Verfügung gestellt, sodass die Reflexionen der einzelnen EMDR-Sitzungen sowohl aus Sicht von Susanne Altmeyer als auch aus der Perspektive der Klientin zu erfahren sind. Und das ist wahrhaft besonders in dieser Veröffentlichung: nicht nur schlichte Bewertungen der einzelnen Therapiestunden, sondern differenzierte Beschreibungen der Therapiesitzungen und Nachgedanken von beiden in diesem Therapieprozess beteiligten Frauen. Sie haben ihre Aufzeichnungen getrennt voneinander ohne gegenseitige Kenntnis davon niedergeschrieben, und sie sind in diesem Buch trotzdem bezogen aufeinander zu lesen. Hier ist durch diese nicht bewusste Kooperation in der Protokollierung ein spannender Dialog entstanden, der viele Details des Therapieprozesses dual beleuchtet und dadurch verständlicher und nachvollziehbarer macht. Hin und wieder entstehen Situationen, in denen die Klientin in Dissoziationsgefahr gerät. Je näher sich die beiden den sequenziellen Traumata nähern, desto mehr zeigt die Therapeutin einen kreativen Wechsel zwischen Expositions- und Stabilisierungs-Interventionen und desto mehr beschreibt die Klientin ihren emotionalen Prozess zwischen Angst, Unsicherheit, inneren Dialogen der unterschiedlichen Anteile und Erleichterung nach erfolgten EMDR-Expositionen. Auf der therapeutischen Seite werden Formen des sogenannten Einwebens hilfreicher Sätze während der bilateralen Stimulation beschrieben. Dies geschieht meist während des Einsatzes taktiler Reize. Unter EMDR scheint der Klientin das Gewirr der Stimmen im Kopf kaum zu ertragen zu sein, doch sie gewinnt durch ordnende Interventionen und Psychoedukation immer wieder die Kontrolle über sich: die Fragmentierung wird geringer, das Selbst wird stärker, innere Monster können als Helfer identifiziert werden. Das Experiment der zwölf Sitzungen in fünf Tagen ist gelungen.
Es folgt ein Schriftverkehr zwischen Therapeutin und Klientin nach der Intensivtherapie. In diesen Austausch wird auch der niedergelassene Therapeut einbezogen, den die Klientin wieder aufsucht. Nach einer Retraumatisierung durch einen medizinisch notwendigen Eingriff folgt eine zweite Therapiephase mit Susanne Altmeyer, diesmal jedoch in großen Abständen. Wir werden Zeuge davon, wie die beachtlichen Erfolge der Intensivtherapie im Alltag der Klientin unter neuen Belastungen ins Schlingern geraten können. Doch die zuvor erzielte emotionale Basis bleibt letztendlich stabil, und ein loser Kontakt zwischen den beiden Frauen schließt sich an, parallel zu einer ambulanten Betreuung durch eine niedergelassene Therapeutin. Die Kapitel »Nachgedanken« und »Was ich am Ende noch erklären wollte« runden das Buch ab.
Fazit: Ein absolut lesenswertes, außergewöhnliches Buch über die Arbeit mit einer vielfach traumatisierten Frau – und ihren fragmentierten Anteilen –, in welchem nicht nur die Erfahrung und die Kreativität der Autorin als EMDR-Therapeutin zum Ausdruck kommen, sondern das auch durch die parallelen Schilderungen aus der Perspektive der Klientin fasziniert.

Alexander Korittko

978-3-8440-8178-7
Susanne Altmeyer
Der Guhl, das ganz Kleine und die tentakeligen Monster
Systemisches Protokoll einer EMDR-Intensivtherapie (2. Auflage)
Psychologie
Rezension
Deutsches Ärzteblatt PP, Heft 3, S. 137, März 2022, Jürgen Abresch, 16.03.2022

Komplexe Traumata

Gelungenes Experiment einer Intensivtherapie

Die Psychotherapeutin Susanne Altmeyer und ihre komplex traumatisierte Patientin Therese haben ein sehr intensives und lehrreiches Buch über ein gelungenes Therapieexperiment verfasst, das eine Behandlung in fünf Tagen mit jeweils zwischen vier und acht Therapiestunden beschreibt. Es erinnert insofern an das Buch von Irvin D. Yalom „Jeden Tag ein bisschen näher“ (Patientin Ginny), weil es zu weiten Teilen aus den Therapieprotokollen der Therapeutin wie auch der Klientin besteht.
Eingebettet in ein tragfähiges, emotional zugewandtes und korrespondierendes Arbeitsbündnis werden mittels Traumalandkarte 16 traumatische Erlebnisse erhoben und natürlich auch Ressourcen gefunden. Innerhalb von fünf Tagen, beginnend an einem Montagvormittag, werden diese Traumata durchgearbeitet. Leserinnen und Leser erfahren das Geschehen hautnah aus beiden Perspektiven – ebenso wie die nachgetragenen katamnestischen Berichte. Natürlich handelt es sich um sehr anstrengende therapeutische Abläufe – einerseits, andererseits werden sie jedoch durch die fortwährend stattfindenden Bewältigungsprozesse und zeitnahe ungeahnte Lösungserlebnisse erleichtert und beflügelt.
Altmeyer orientiert sich mit diesem Projekt an dem Vortrag von Jacqueline Marie Smith auf dem EMDRIA Tag 2017 in Bonn. Smith führte auf der Isle of Wight in einem stationären Kontext zahlreiche derartige Intensivtherapien durch, begleitete sie wissenschaftlich und berechnete, um welche Summen günstiger ein solches Setting sein kann.
Es wäre sehr wünschenswert, wenn solche Behandlungsstrategien – aus therapeutischen wie auch aus wirtschaftlichen Gründen – in das mögliche Behandlungsportfolio von ambulanten wie stationären Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten eingegliedert werden könnten.

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