Nicht erst seit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vom Oktober 2018 zum Thema "Demokratie als Ziel, Gegenstand und Praxis historisch-politischer Bildung und Erziehung in der Schule" ist die schulische Demokratieförderung in den Fokus der pädagogischen und auch fachdidaktischen Diskussion um die Leitziele schulischer Bildung zurückgekehrt. Mit dem ebenfalls 2018 erschienen Buch der Reihe "Beiträge zur Didaktik" des Shaker Verlages trifft der Autor Claus Haar den Nerv der Zeit: Unser demokratisches System ermögliche nicht nur Mündigkeit, es setze auch Mündigkeit voraus und so gilt Demokratie als einzige Staatsform, die erlernt werden müsse (Negt 2004). Um dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gerecht zu werden, müsse auch der schulische Fremdsprachenunterricht seinen Beitrag zur Demokratieförderung leisten. Auf der Suche nach einem übergeordneten Ziel gesamtschulischer Bildung kommt Haar über Kritik an aktuellen pädagogischen und fremdsprachendidaktischen Diskursen auf ebenjene Forderung zurück, dass es nicht Kernanliegen des Fremdsprachenunterrichts sein könne, auf dem „(Floh)Markt oder an der Hotelrezeption" zu "überleben" (5.13), sondern der Fremdsprachenunterricht zur Heranbildung mündiger Bürgerinnen und Bürger beitragen müsse.
In essayistischer Form mit Wortwitz geschrieben und gespickt mit historischen Rückblicken, wegweisenden Zitaten, philosophischen Einwürfen, persönlichen Schwänken und Anekdoten sowie unterrichtlichen Situationen, die von der Bedeutung der Thematik für den Autor zeugen, geht er diesem Anliegen mit einer fremdsprachenübergreifenden Perspektive in drei übergeordneten Kapiteln besonders für das gymnasiale Schulniveau nach. Nach einem einleitenden Vorwort gerät zunächst der Schauplatz Schule mit einem für die Institution charakteristischen Umfeld und den zugehörigen sozialen Akteuren in den Fokus seiner Überlegungen. Haar nimmt vor allem die Lehrkräfte als Gestalter von Lehr-Lern-Prozessen in die Pflicht, die über eine gefestigte Normensicherheit verfügen müssen, um das Klassenzimmer zum Raum für persönliche wie auch gesellschaftliche Weiterentwicklung werden zu lassen (S.62f).
In einem zweiten Kapitel wird sich den Methoden als Spiegel der Gesellschaft zugewandt. Hier exerziert Haar exemplarisch und stellenweise kurz gefasst an praxisorientierten Aspekten die unterrichtlichmethodische Umsetzung einer Demokratieförderung im Fremdsprachenunterricht sowie die gesellschaftliche Relevanz der Methoden.
Es folgt eine zusammenfassende Betrachtung von Individuum, Schule und Demokratie,bei der das reziproke Verhältnis von Individuum und Gesellschaft unter dem Vorzeichen von Schule mit Blick auf die den vorangegangenen Kapiteln entfaltete Argumentation reflektiert wird.
Aufgrund der gewählten Zitationsweise in Fußnoten entfällt ein übersichtliches Literaturverzeichnis, was einen theoretischen Überblick erschwert. Insgesamt fällt auf, dass auf eine theoretische Aufarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagenliteratur verzichtet wird, sodass die aus der individuellen Lehrerfahrung des Autors getroffenen Rückschlüsse nicht mit einer wissenschaftlichen Grundlage untermauert werden. Wünschenswert wäre zudem der Blick in die historische und aktuelle Diskussion der Fremdsprachendidaktik, da Demokratie als regulative Leitidee schulischer Bildung in engem Zusammenhang mit einer politischen Bildung als Element des Fremdsprachenunterrichts spätestens mit ihrem Höhepunkt seit den 1960er Jahren im Sinne einer politischen Landeskunde existent ist und gleichzeitig auch heute in der fremdsprachendidaktischen Diskussion wieder an Bedeutung gewinnt.
Wenngleich sich das Buch wie auf dem Klappentext angegeben als "Leitfaden" versteht, so besitzt es trotz der stellenweise sprunghaften Argumentationsstruktur eher den Charakter einer Ideensammlung, die zur Reflexion und Weiterentwicklung des eigenen Unterrichts unter neuen, demokratiefördernden Gesichtspunkten anregt. Haar verbindet textstilistisch anregend seine weitreichende Lehrerfahrung mit den Erkenntnissen der Fremdsprachendidaktik, der Philosophie, der Geschichte sowie der Pädagogik, der Soziologie und der Psychologie und schafft es so mit seinem Buch eine grundlegende Hilfestellung für all jene zu leisten, denen die Demokratie und die Leidenschaft für Sprache am Herzen liegen, und zu einer lebendigen Unterrichtsgestaltung des Fremdsprachenunterrichts im Zeichen der Demokratie beizutragen.
FRANK HEISEL