Es ist zweifellos als großer Gewinn für die historische bzw. wissenschaftshistorische Forschung anzusehen, dass im Rahmen eines Projekts der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig die wissenschaftlichen Beziehungen der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg untersucht werden: Es geht in der vorliegenden Edition um fünf Briefwechsel aus der Autographensammlung von Wilhelm Stieda, die, mit umfangreichen Kommentaren versehen, herausgegeben werden. Jeder Osteuropahistoriker, der zum 19. Jahrhundert forscht, kennt den Namen des Wirtschaftshistorikers Wilhelm Stieda, der zahlreiche bereits „klassisch“ gewordene Werke zu den deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen verfasst hat. Bis vor kurzem war nur wenig bekannt, dass die Universitätsbibliothek Leipzig über Stiedas umfangreiche Autographensammlung verfügt. Die beiden Autorinnen haben sich bereits bei der Arbeit am Projekt Carl Friedrich Gauß und Russland als gutes Team erwiesen (siehe: Carl Friedrich Gauß und Russland. Sein Briefwechsel mit in Russland wirkenden Wissenschaftlern. Unter Mitwirkung und mit einem Beitrag von Werner Lehfeldt. Berlin, Boston 2011. = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. N.F., 16). Während der Recherchen zu diesem Thema hat Karin Reich Briefe mehrerer deutschstämmiger, im Russischen Kaiserreich tätiger Wissenschaftler in der Autographensammlung von Wilhelm Stieda in Leipzig ermittelt. Diese Briefe versprachen interessante Informationen für die Erforschung sowohl der deutschrussischen Wissenschaftsbeziehungen als auch der internationalen wissenschaftlichen Kontakte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg. Diese Hoffnung hat der Editionsband Formeln und Sterne voll und ganz bestätigt. Der Band beginnt mit einer Einleitung, in der das Ziel des Editionsvorhabens erläutert sowie die fünf ausgewählten Briefwechsel im historischen Umfeld diskutiert werden. Es folgt eine Skizze des Lebens und des Werks von Wilhelm Stieda (1852–1933) sowie eine Übersicht über die Autographen, die sich in seinem Nachlass befinden. In den darauffolgenden Kapiteln werden zwei Ständige Sekretäre der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg vorgestellt, Nikolaus Fuß (1755–1826) sowie sein Sohn und Nachfolger Paul Heinrich Fuß (1798–1855), an die die edierten Briefe, die alle in deutscher Sprache verfasst sind, gerichtet wurden. Die Autoren der Briefe wirkten vor allem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Den Reigen der hier vorgestellten Briefwechsel mit der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg eröffnen die Briefe von Johann Wilhelm Andreas Pfaff (1774–1835) an Nikolaus Fuß. Der in Stuttgart geborene Pfaff war der Bruder des berühmten Mathematikers Johann Friedrich Pfaff, der Ehrenmitglied der St. Petersburger Akademie war. Empfohlen von seinem Bruder, bekleidete Johann Wilhelm Andreas Pfaff von 1804 bis 1809 die erste Professur für Reine und Angewandte Mathematik (einschließlich Astronomie) an der 1802 eröffneten Universität Dorpat (heute Tartu). Pfaff verstand es, das Interesse seiner Studenten an den exakten Wissenschaften zu wecken, z.B. im Falle von Magnus Georg Paucker und Wilhelm Struve. Des Weiteren wurde Pfaff damit beauftragt, eine neue Universitätssternwarte zu errichten. Pfaff entfaltete in Dorpat eine rege wissenschaftliche Tätigkeit; seine Abhandlungen ließ er Nikolaus Fuß in St. Petersburg zukommen. 1807 wurde Pfaff zum Korrespondierenden Mitglied der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften gewählt. Alle Briefe von Pfaff in der Autographensammlung von Stieda stammen aus seiner Dorpater Zeit. Sowohl die Briefe selbst als auch das durch umfassende Recherchen ermittelte Material liefern neue wertvolle Informationen zu Johann Wilhelm Andreas Pfaff und seinen Aktivitäten in Russland. Über den in Roßlau in Anhalt geborenen Johann Sigismund Gottfried Huth (1763–1818) gibt es bislang keine umfassende Biographie – zu Unrecht, wie der Beitrag in Formeln und Sterne beweist. Huth wirkte am Pädagogium und an der Universität Halle, bevor er 1789 als Professor für Physik und Mathematik an die Universität Frankfurt an der Oder berufen wurde. In der wissenschaftlichen Welt wurde er als Entdecker von vier neuen Kometen bekannt. Auf der Flucht vor den Wirren der Napoleonischen Kriege kam er 1808 an die Universität Char’kov, wo er als Professor für Angewandte Mathematik wirkte. 1811 vertauschte er Char’kov mit Dorpat und war dort bis zu seinem Lebensende 1818 als Professor für Reine und für Angewandte Mathematik tätig. Laut der Darstellung der Autorinnen ließ in Dorpat Huths wissenschaftliche Tätigkeit nach, aber seine ausgezeichneten Qualitäten als Hochschullehrer sind der Universität Dorpat in besonderem Maße zugutegekommen. Ein Kapitel ist Huths Abhandlung über die Theorie der Lichtgeschwindigkeit gewidmet, ein besonders interessantes Thema. Huths Bestrebungen, Korrespondierendes Mitglied der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften zu werden, scheiterten an einem vernichtenden Gutachten von Friedrich Theodor Schubert (1758–1825) über Huths Abhandlung. Die Edition dieses Gutachtens sowie der Briefe Huths an seinen Freund Ludwig Heinrich Jacob (1759–1827) in Halle ergänzen die Edition von Huths Briefen an Nikolaus Fuß (Frankfurt/Oder, Char’kov, Dorpat). Die Briefe des berühmten deutsch-russischen Astronomen Friedrich Georg Wilhelm Struve (1793–1864) an die St. Petersburger Akademie betreffen seine Zeit in Dorpat. Der junge talentvolle und zielstrebige Gelehrte begann gerade seine wissenschaftliche Laufbahn und teilte Nikolaus Fuß die ersten Ergebnisse seiner astronomischen und geodätischen Arbeiten sowie seine Zukunftspläne mit. Im Januar 1822 wurde Struve zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg gewählt. Die in ihren historischen Rahmen eingebetteten Briefe von Struve, die die Autorinnen präsentieren, gestatten auch einen Blick auf die Beziehungen, die Struve mit seinen deutschen Kollegen unterhielt. Der Braunschweiger Mathematiker Johann Martin Christian Bartels (1769–1836) suchte in Russland eine sichere Stelle für sich und seine Familie während der schwierigen Zeit der zahlreichen Napoleonischen Kriege. Nikolaus Fuß war es zu verdanken, dass Bartels 1808 an die noch junge, östlichste europäische Universität Kazan’ als Professor für Mathematik berufen wurde. Nach vielen erfolgreichen Jahren wechselte Bartels 1821 als Professor für Reine und Angewandte Mathematik an die Universität Dorpat. Noch von Nikolaus Fuß eingefädelt, wurde Bartels während der Amtszeit von Paul Heinrich Fuß 1826 zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg gewählt. Mit Nikolaus und Paul Heinrich Fuß unterhielt Bartels sowohl wissenschaftliche als auch sehr persönliche, vertraute Beziehungen. Bartels war in das Netzwerk der wissenschaftlichen Großfamilie Euler integriert, deren Begründer der Mathematiker Leonhard Euler war. Die von den Autorinnen edierten Briefe von Bartels aus Kazan’ und Dorpat sowie weitere zahlreiche, in der Forschung bislang unbekannte bzw. noch nicht veröffentlichte Dokumente erweitern die Kenntnisse über diesen bedeutenden Mathematiker und Hochschullehrer, der bis zu seinem Lebensende 1836 im Russischen Kaiserreich blieb und dem Russland viele Nachwuchsmathematiker, darunter Lobačevskij in Kazan’ und die Brüder Senff in Dorpat, zu verdanken hat. Im letzten Block wird der Briefwechsel von Magnus Georg Paucker (1787–1855) mit Nikolaus und Paul Heinrich Fuß ediert. Paucker begann seine wissenschaftliche Laufbahn an der Sternwarte in Dorpat. Von 1813 bis 1846 war er als Oberlehrer der mathematischen und physikalischen Wissenschaften am Gymnasium illustre in Mitau (heute Jelgava) tätig. Rufe an die Universität Dorpat sowie an die Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg lehnte er ab. Pauckers wissenschaftliche Interessen betrafen Mathematik, Astronomie, Geodäsie, Metrologie sowie Meteorologie. Alle seine Beschäftigungsfelder erwähnte er in seinen Briefen an die Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg. Ferner sorgte er dafür, dass die Akademie mit seinen wissenschaftlichen Beiträgen versorgt wurde. 1822 wurde er zum Korrespondierenden Mitglied der Akademie gewählt. Für sein grundlegendes Handbuch der Metrologie Rußlands und seiner deutschen Provinzen wurde ihm 1832 der ehrenvolle Demidov-Preis zuerkannt. Mehrere Veröffentlichungen Pauckers sind auch in der Handbibliothek des berühmten Göttinger Mathematikers Carl Friedrich Gauß nachgewiesen. Der hier vorgestellte Briefwechsel Pauckers mit Nikolaus und Paul Heinrich Fuß umfasst die Zeit von 1812 bis 1834 und enthält viele wertvolle Informationen. Alle fünf hier edierten und kommentierten Briefwechsel sind einheitlich aufgebaut. Sie beginnen mit einem tabellarischen Lebenslauf, es folgen Miszellen zu Leben und Werk. In diesem Kapitel wird der jeweilige Korrespondent mehr oder weniger ausführlich vorgestellt. Dabei werden vor allem die mit den Briefen im Zusammenhang stehenden Themen genauer beleuchtet. In dem darauffolgenden Kapitel Aspekte des Briefwechsels werden zentrale Themen des jeweiligen Briefwechsels ausführlich behandelt. Die Briefedition enthält auch ein Verzeichnis der Briefe. Es ist zu betonen, dass im Textteil der Monographie zahlreiche weitere historische Dokumente ediert sind. Besonders wertvoll sind die Dokumente aus der St. Petersburger Filiale des Archivs der Russländischen Akademie der Wissenschaften sowie aus den Bibliotheken und Archiven in Tartu, Göttingen und Leipzig. Den Band schließen drei Verzeichnisse ab, nämlich ein Abbildungsverzeichnis, ein Literaturverzeichnis (S. 393–412) sowie ein Personenverzeichnis (S. 413–435). Die Monographie, die dem facettenreichen akademischen Leben im Russischen Kaiserreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewidmet ist, kann nicht nur dem Fachpublikum, sondern auch einem breiten Kreis interessierter Leser empfohlen werden. Es bleibt zu wünschen, dass in Zukunft noch weitere Briefwechsel aus dem Nachlass von Wilhelm Stieda in einer so vorbildlich gestalteten Edition wie dieser erscheinen werden.
Galina Smagina, Sankt Petersburg
The book under review is devoted to the correspondence between German scientists with the Imperial Academy of Sciences at St. Petersburg. All published letters come from the collection
of Wilhelm Stieda (Library of the University of Leipzig, Germany). In the introductory part explanations and conventions concerning symbols, abbreviations and the rules of translitera-tion of names are provided. The proper part of the book consists of 8 chapters. Chapter 1 is an introduction where the importance of Stieda´s collection is discussed and reasons of choosing the persons whose correspondence is presented are given. The letters published in the book come from the period 1806-1834. They were written in St. Petersburg, Tartu, Kharkiv, Kazan and Mitau as well as Frankfurt/Oder and Braunschweig.
The following Chapters 2-8 are de- voted, respectively, to Wilhelm Christian Hermann Stieda, Nikolaus and Paul Heinrich Fuss, Johann Wilhelm Andreas Pfaff, Johann Sigismund Gottfried Huth, Friedrich Georg Wilhelm (von) Struve, Johann Martin Christian (von) Bartels and Magnus Georg (von) Paucker. Each chapter begins with a short CV of the respevtive scientist, then important and meaningful aspects of his life and scientific work are discussed, further there are comments on the letters that are given in the last part of the chapter. The number of letters of particular persons is different: from 40 in the case of Paucker to 6 in the case of Pfaff. The volume was prepared in a very careful way. It gives an interesting picture of the scientific exchange and scientific life in the first half of the 19th century showing scientists with German background collaborating with the Imperial Academy of Sciences at St. Petersburg as well as with various educational institutions in Russia. Comments of the editors indicate not only the content of the letters but also their cultural and historical background. The book contributes to a better understanding not only of particular scientific issues from mathematics and astronomy but also of the academic life in Russia in the indicated period.
Roman Murawski
The volume at hand is part of the series “Relationes”, in which the results of a research project on scientific relations between Russia and Germany in the 19th century (conducted by the Saxonian Academy of Sciences) are currently being published. This edition of letters to the Imperial Academy of Sciences in St. Petersburg written by German scientists between 1806 and 1834 is closely tied to another major publication on scientific connections of Carl Friedrich Gauß with Russia by Reich and Roussanova, which served as a model with respect to methodological approach, interpersonal relations and issues of content (Carl Friedrich Gauß und Russland: Sein Briefwechsel mit in Russland wirkenden Wissenschaftlern, Berlin/Boston, Mass. 2012). A thorough delineation of the editorial principles is prefixed, followed by introductory remarks on the collection of autographs of Wilhelm Stieda (1852–1933) preserved in Leipzig University Library with biographical notes. Stieda was born in Riga and studied in Dorpat (now Tartu in Estonia). In 1898 he was appointed as professor for national economy in Leipzig and became interested in the history of science, especially in scientific relations between Russia and Germany. In several publications (listed on p. 34) Stieda dealt with the history of Dorpat University, the history of the Imperial Academy of Sciences in St. Petersburg and the influence of German scholars on science and education in Russia. Moreover, he was an avid collector of scientific correspondence.
A distinctive feature of the letters published in this volume is their continuous orientation to Nikolaus and Paul Heinrich Fuss, both permanent secretaries of the Imperial Academy of Sciences in St. Petersburg. The five selected authors of Stieda’s collection are the astronomers and mathematicians J. W. A. Pfaff (1774–1835, with 6 letters), J. S. G. Huth (1763–1818, with 17 letters), W. Struve (1793–1864, with 7 letters), M. Bartels (1769–1836, with 13 letters) and M. G. Paucker (1787–1855, with 40 letters). These scientists were acquainted to each other, had (at least in part) familiar relations and shared mutual scientific interests. The university of Dorpat was important for all of them as institutional setting, and there were ties to other Russian universities (Charkov, Kazan), as well as to the “Gymnasium illustre” at Mitau (nowadays Jelgava in Latvia). With the exception of Wilhelm Struve the other scholars are not very well-known, but they had considerable influence on the education of Russian students and future professors, after Tsar Alexander I. reformed the Russian educational system profoundly in 1803 and founded new universities in Dorpat, Vilna, Kazan and Charkov. To each person biographical notes are presented, and the diligently researched commentaries to the edited letter texts have been put in front in topical order. Although the Academy correspondence covers a limited space of time and therefore cannot display an all-embracing picture of the work and scientific achievements of the above-mentioned scholars, the book offers a wealth of
information. The editors obviously have spared no efforts in pursuing even minute details.
The chapter on Wilhelm Struve contains remarks concerning his early career and astronomical activities in Dorpat, and in addition his connections to the Russian Imperial Academy are delineated: Struve became a corresponding member already in 1822 and due to his widely noticed scientific work he was elected as an ordinary member ten years later. Notwithstanding his obvious merits this was an exceptional case, because usually only scientists living in St. Petersburg were considered as ordinary members of the Imperial Academy. It is very likely that the decision had been made with some foresight in view of building a new observatory in Pulkovo, which was completed in 1839.
Specialist publications (notably editions of primary sources) are no bestsellers and occasionally produced rather inexpensively under financial pressures. Too often the result is an unsatisfactory appearance with respect to aesthetic regards. This cannot be said of the handsome book at hand however, which is hardbound and has been printed on paper of high quality. Its layout is clear and reader-friendly. Thanks to the painstaking work of Reich and Roussanova an important contribution to the history of astronomy and mathematics in the early 19th century has been made. This edition is exemplary for fine scholarship and can be recommended wholeheartedly.