Aus starren Strukturen und Denkmustern auszubrechen, ist oftmals unbequem und ungewollt. Nur in ausweglosen Situationen wird dann versucht, das Ruder in der letzten Minute herumzureißen und sich um Schadensbegrenzung zu bemühen. Um Derartiges zu vermeiden, lohnt es sich, rechtzeitig einen kritischen Blick auf bestehende Auffassungen zu wagen.
Trotz der Sinnhaftigkeit, kritisches Denken in der Lehre zu fördern, scheint dieser Aspekt nicht immer in der (Berufs-) Bildungslandschaft ausreichend repräsentiert zu sein. In dem hier zu besprechenden Buch wird Ausbildern und Lehrern (die als »pädagogische Professionals« bezeichnet werden) anschaulich erläutert, wie kritisches Denken mit Hilfe von E-Learning die Persönlichkeitsentwicklung Lernender unterstützen kann.
Der Autor Dirk Jahn ist seit Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FAU Erlangen-Nürnberg mit den Forschungsschwerpunkten Hochschuldidaktik und E-Learning vertraut. Seine Expertise in der veröffentlichten Dissertation wird gleichermaßen durch eine tiefe theoretische Auseinandersetzung und durch zahlreiche Praxiserfahrungen aus dem Berufsbildungs- und Hochschulbereich gespeist.
In dem 566 Seiten umfassenden Buch wird als Ziel die Entwicklung eines Qualifizierungskonzeptes angestrebt. Durch Blended Learning (einer Kombination von Präsenz- und E-Learning-Elementen) sollen pädagogische Professionals bei ihren Lernern gezielt kritisches Denken fördern können.
Neben der methodischen Vorgehensweise konzipiert der Autor den theoretischen Rahmen des didaktischen Designs. Hierfür werden didaktische Richtlinien aus verschiedensten Strömungen und Förderansätzen gebildet, was einer Puzzlearbeit gleicht. Unterschiedliche Möglichkeiten und Methoden zur Unterstützung von kritischem Denken durch E-Learning werden nach einem kurzen allgemeinen Überblick detailliert vorgestellt, unter anderem anhand von Ergebnissen bereits existierender Studien. Diese Überlegungen gehen in ein didaktisches 4-Phasen-Modell über, welches die Initialphase, die Phase der Urteilsbildung, die Phase der Entwicklung von Alternativen und die Integrationsphase umfasst.
Diagnoseinstrumente und bereits vorhandene Schulungsansätze sind weitere Bausteine für die finale Konstruktion des Qualifizierungskonzepts, dessen Erprobung im letzten Kapitel konkret und praxisnah mit Methoden und Rahmenbedingungen beschrieben wird: Der erste Durchgang erfolgte im Rahmen einer Weiterbildung für pädagogische Professionals in der beruflichen Bildung, das modifizierte Konzept wurde anschließend in der universitären Ausbildung angehender pädagogischer Professionals getestet. Die Erfahrungen beider Erprobungskontexte werden vom Autor transparent aufgearbeitet und führen zu einer gesamthaften Zusammenfassung der Forschungsergebnisse mit
einem abschließenden Ausblick.
Multimediale Lernmodule, Online-Foren und E-Portfolios sind Beispiele für mannigfaltige Möglichkeiten, kritisches Denken durch E-Learning zu fördern. Dirk Jahn schildert damit überzeugend und nachvollziehbar, wie Wissensvermittlung,
(Selbst-)Reflexion und gegenseitiger Austausch mit Hilfe moderner Medien funktionieren kann. Die klare und logische Strukturierung erleichtert das Zurechtfinden, viele tabellarische Zusammenfassungen komprimieren die zuvor gewonnenen Informationen. Ein gezieltes Aussuchen von Kapiteln ist gemeinhin ohne Verständnisschwierigkeiten möglich. Die Sprache ist klar und verständlich, aufgrund seines akademischen Niveaus ist das Werk allerdings nur bedingt als Gute-Nacht-Lektüre zu empfehlen.
Die theoretische Grundausrichtung sollte nicht abschrecken, denn pädagogische Professionals profitieren von zahlreichen praxisbezogenen Inhalten und Anregungen, die einen stimmigen Aufbau von eigenen Qualifizierungsmaßnahmen möglich machen. Da ist es fast schade, dass sich die ausgearbeiteten Elemente der Qualifizierungskonzepte in den Anhängen verstecken, denn sie bieten gute Ideen für eine eigene Umsetzung. Chapeau! Dem Autor ist es gelungen, ein aktuelles und umfassendes Buch zu einer Thematik zu veröffentlichen, welche abseits pädagogischer Trendthemen nicht minder wichtig ist.