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Rezensionen

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978-3-8440-0331-4
Peter Gbiorczyk
Die Entwicklung des Landschulwesens in der Grafschaft Hanau von der Reformation bis 1736
Die Ämter Büchertal und Windecken. Teil 1: Textband, Teil 2:Quellenband auf CD-ROM
Geschichtswissenschaft
Buchbesprechung
Bernhard Unckel, 09.03.2017


Eine Untersuchung zur Geschichte des Landschulwesens in der Grafschaft Hanau war seit langem ein Desiderat. Peter Gbiorczyk schließt diese Lücke mit einer breit angelegten Studie. Er zeichnet die Entwicklung der Elementarschulen in den hanauischen Ämtern Büchertal und Windecken nach, und zwar zwischen der Einführung der Reformation und dem Übergang der Grafschaft Hanau an die Landgrafschaft Hessen-Kassel im Jahre 1736. Er stützt sich auf die bisherige Forschung, vor allem aber auf ein reiches Quellenmaterial aus hessischen Archiven, vorwiegend aus dem Staatsarchiv Marburg, und hier besonders auf Kirchenbaurechnungen und Presbyterialprotokolle. Diese geben Einblick in das Leben in den Gemeinden und dessen Beurteilung durch die Menschen „vor Ort" und- nicht minder interessant- durch die kirchlichen landesherrlichen Amtsträger. Selbstverständlich zieht der Verf. auch die einschlägigen Kirchen- und Schulordnungen heran. Sie gehören zu den Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Schulwesens in der Grafschaft Hanau. Wichtige Texte sind inzwischen von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften publiziert worden (Sabine Arend, in: Archivnachrichten 1312, 2013, S. 38 ff.). Gbiorczyk hat einige zentrale Texte in einem Anhang seinem Buch angefügt, außerdem Listen mit den Namen der Schulmeister in den beiden Ämtern sowie einen ungemein nützlichen Quellenband auf CD-ROM.

Der Verf. schließt an methodologische Erwägungen der Geschichtswissenschaft an (Clifford Geertz, Carlo Ginzburg) und versucht, seine Quellen „multifunktional" zu verwenden und sie sowohl aus der Perspektive einzelner Personen als auch sozialer Gruppen und Institutionen zu interpretieren. So rückt er Pfarrer, Schulmeister, Kantoren und Organisten in das Blickfeld des Lesers, des Weiteren Presbyterien, Konsistorien und Pfarrkonvente und berichtet über das dörfliche Leben in den beiden Ämtern. Die Schule, die Schulmeister, die Schulhäuser, der Unterricht mit seinen verschiedenen Fächern - dies alles im Spannungsfeld von gräflicher Landesherrschaft, Kirchengemeinden und politischer Gemeinde, darauf ist das Interesse Gbiorczyks zuerst und vor allem gerichtet. Mit viel Gespür für das charakteristische Detail schildert er die zahlreichen Konflikte mit den kirchlichen bzw. landesherrlichen Amtsträgern, wegen der konfessionellen Orientierung und des wachsenden Einflusses reformierter Lehre und Praxis in den Gemeinden oder auch wegen der materiellen Voraussetzungen des Unterrichts, wegen der Schulgebäude oder der Besoldung der Schulmeister. Immer wieder wird das Bestreben des Landesherrn erkennbar, über Kirchen und Schulen die Untertanen zu disziplinieren, nicht immer freilich mit Erfolg, wie der Verf. an einigen Beispielen zeigt. Neben den konfessionellen Überlegungen war in den Gemeinden nicht selten auch eine „magisch-abergläubische Volksreligiosität" lebendig, die sich dem Zugriff der Obrigkeit entzog, und hier und da waren sogar „Tendenzen der Säkularisierung" wirksam, in denen sich eine Abwendung von der Kirche manifestierte (S. 433). Die Gleichzeitigkeit überkommenen und „modernen" Denkens und Verhaltens weist über die Grafschaft Hanau hinaus auf Strukturprobleme frühneuzeitlicher Gesellschaften.

Gbiorczyks Untersuchungen sind ein wichtiger Beitrag zur Sozialgeschichte von Bildung und Schule, nicht allein in der Grafschaft Hanau. Sie sind auch ein Beitrag zur „Ideengeschichte“ von Politik, Bildung und Schule zwischen dem 16. und 18. Jh. In einer lesenswerten Präsentation der Kirchen- und Schulordnungen, die in der Grafschaft Hanau zur Gültigkeit kamen, entwickelt der Autor die leitenden Prinzipien landesherrlicher Politik auf diesem Felde. Erziehung und Unterricht sollten zur „Ehre Gottes und zum gemeinen Nutzen" dienen (S. 89 f.), nicht nur das - selbstverständliche – Erlernen des Katechismus, sondern auch der Unterricht im Lesen, Schreiben, Rechnen und Singen. An diesen Prinzipien hatte sich schon Landgraf Philipp orientiert, als er im Jahre 1527 die Universität Marburg errichtete und eine Veränderung des Landschulwesens im Sinne der Reformation auf den Weg zu bringen suchte- an der Lehre von gemeinen Nutzen.

Marburg
Bernhard Unckel

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