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Rezensionen

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978-3-8322-9562-2
Simon Burger
Verantwortung und Verantwortlichkeit für die Umsetzung supranationalen Rechts im Bundesstaat
Die horizontale und vertikale Zuordnung der Umsetzungspflichten einschließlich der Haftung
Rechtswissenschaft
Rezension
Zeitschrift: KommJur 8/2011, Seite 319, 15.09.2011

Die supranationale Gesetzgebung der EU entfaltet insoweit unmittelbare Auswirkungen auf die binnenstaatliche Rechtsetzung und -anwendung als die Träger der horizontal und vertikal geteilten Staatsgewalten die höherrangigen Vorgaben des EU-Rechts effektiv umsetzen müssen. Aufgrund dieser supranationalen Durchdringung der nationalen Staatsorganisation verteilt sich die Umsetzungsverantwortung innerstaatlich auf die jeweils zuständigen, auch kommunalen Organe. Im Falle von Verstößen gegen Umsetzungspflichten sieht die Unionsrechtsordnung Sanktionen vor, die sich jedoch zunächst gegen die Bundesrepublik als außenverantwortlichen Mitgliedstaat richten. Die Effektivität der verschiedenen Sanktionen hängt somit maßgeblich davon ab, ob sie auf innerstaatlicher Ebene die jeweils verantwortlichen Hoheitsträger treffen. Inwieweit dieser Gleichklang zwischen Umsetzungsverantwortung und -Verantwortlichkeit geboten ist und inwieweit er sich de lege lata, de facto und de lege ferenda herstellen lässt, sind die Leitfragen der vorliegenden Arbeit.
Zu Beginn der Untersuchung werden die supranational vorgegebenen Pflichten in quantitativer und qualitativer Hinsicht systematisiert und zugleich strukturelle, der Unionsebene zuzuordnende Umsetzungshindernisse identifiziert. Im Hinblick auf das Umsetzungsdefizit erfolgt eine nach Verstößen gegen formelle und materielle Umsetzungspflichten bei der Rechtsetzung sowie Anwendungsdefiziten differenzierte Bestandsaufnahme inklusive Ursachenanalyse. Es folgt eine Gesamtdarstellung der unionsrechtlichen Sanktionsinstrumente einschließlich Bewertung anhand des Kriteriums des mitgliedstaatlichen Haftungsrisikos. Zu Beginn des Hauptteils der Untersuchung werden zunächst die jeweiligen Umsetzungsprogramme der horizontal geteilten Staatsgewalten abgegrenzt und die Reichweite der Sanktionsinstrumente der EU bei entsprechenden Defiziten aufgezeigt. Diskussionsschwerpunkte bilden hier die Kompetenzen der Judikative und der Administrative zur Nichtanwendung gemeinschaftsrechtswidriger Normen sowie die Zulässigkeit von Beiträgen der Administrative und der Judikative zur normativen Umsetzung. Im Hinblick auf die föderale Zuordnung der Umsetzungspflichten werden die einschlägigen nationalrechtlichen Kompetenznormen ermittelt und umsetzungsspezifisch ausgelegt. Am Beispiel des Vertragsverletzungsverfahrens wird anschließend die Außenhaftung des Bundes gegenüber der EU sowie der Regress gegenüber den Ländern erörtert. Die Untersuchung mündet in eine paradigmatische Systematisierung der innerstaatlichen Haftungszuordnung, die abschließend auf die Sanktionsmechanismen des Defizitverfahrens und der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung übertragen wird.
Mit dem vorliegenden Buch veröffentlicht Simon Burger, Referatsleiter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, seine von Prof. Wolfram Höfling, Institut für Staatsrecht der Universität zu Köln, betreute Dissertation. Die an der Schnittstelle zwischen Europa- und nationalem Staatsorganisationsrecht angesiedelte Arbeit richtet sich nicht gezielt an die kommunale Leserschaft, ist aber gleichwohl gerade für diese von besonderer Bedeutung, denn die Kommunen nehmen eine Schlüsselposition für die flächendeckende Umsetzung des Unionsrechts ein. So wird ausdrücklich das europäische Vergaberecht als Beispiel für die administrative Umsetzungsverantwortung der Städte und Gemeinden angeführt und anhand der Dienstleistungsrichtlinie belegt, dass die Kommunen auch normativen Umsetzungspflichten unterliegen. Zudem wird dargelegt, dass auch fiskalische Tätigkeiten und privatwirtschaftliche Organisationsformen wie insbesondere Kommunalunternehmen nicht von staatengerichteten unionsrechtlichen Pflichten ausgenommen sind (S. 200 ff.). Dementsprechend wird nicht nur im Hinblick auf die Bundesländer, sondern auch auf die Kommunen die unmittelbare Verbindlichkeit des Unionsrechts (S. 175 ff.), insbesondere des einen Verstoß feststellenden Ersturteils des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren (S. 274 f.), nicht jedoch des Sanktionen verhängenden Zweiturteils (S. 275 ff.), nachgewiesen. Im Zusammenhang mit der föderalen Zuordnung der Haftung für Umsetzungsdefizite werden die Kommunen zwar der Ebene der Länder zugeordnet, die somit allein gegenüber dem außenverantwortlichen Bund regresspflichtig sein können. Es wird allerdings auf die maßgeblich anhand des jeweiligen Landes(verfassungs)rechts zu beurteilende Möglichkeit der Länder eingegangen, ihrerseits die ggf. verantwortlichen kommunalen Gebietskörperschafen in Haftung zu nehmen (S. 310 ff.). Dass auch die eingehende Untersuchung, gegen welchen Hoheitsträger sich bei kumulativen Verstößen der Staatshaftungsanspruch des Bürgers richtet (S. 326 ff.), für die kommunale Praxis von Bedeutung ist, belegt das aktuelle EuGH-Urteil in der Rechtssache Fuß - AZ C-429/09. Die Arbeit, die die maßgeblichen Änderungen durch die Föderalismusreformen 2006 und 2009 sowie den Reformvertrag von Lissabon berücksichtigt und diskutiert, zeichnet sich aus durch eine umfassende, dogmatisch fundierte und an praktischen staatspolitischen Bedürfnissen orientierte Zuordnung innerstaatlicher Umsetzungspflichten und Haftungsbeziehungen. Die klar strukturierte Darstellung besticht durch zahlreiche Anwendungsbeispiele, die nicht nur die staatspraktische Bedeutung der Untersuchung belegen, sondern auch der Verständlichkeit und dem Unterhaltungswert zuträglich sind.
Uwe Zimmermann
Schriftleitung Kommunaljurist

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