Die Schülerinnen und Schüler „sollen" ..., so fangen typische Zielformulierungen des (Sport-)Unterrichts an. Unterrichtliche Ergebnisse, also was Schülerinnen und Schüler am Ende „sind" oder „haben", schneller gelaufen, höher gesprungen, besser mit ihrem Partner kooperiert, ein spannungsreicheres Wagnis bewältigt, ... scheint im Kontext einer outputorientierten Steuerung im Bildungsbereich zunehmend von Interesse. Es geht darum, Rechenschaft abzulegen, die Frage nach der Legitimation steht im Raum. Eckart Balz hat in diesem Sammelband 18 Kolleginnen und Kollegen, mit Ausnahme der Pädagogin Charlotte Röhner, alle Sportpädagogen bzw. an für pädagogische Fragestellungen relevanten Themen arbeitende Sportwissenschaftler um eine Auseinandersetzung mit dem „Sollen und Sein in der Sportpädagogik" gebeten. In der Einleitung verdeutlicht Balz, dass keine idealistischen Ableitungen erfolgen sollen, naturalistische Fehlschlüsse zu unterlassen sind und verlangt - so deute ich sein Anliegen - „Butter bei die Fische"! Was will die Sportpädagogik und was vom Gewollten kann sie nachweisen? Mit Blick auf ihre jeweiligen Arbeitsschwerpunkte stellen sich die Autoren dieser Aufgabe in drei Abschnitten gegliedert. Sie zeigen erstens Wege „Vom Normativen zum Empirischen", spüren „Normatives im Empirischen" auf und stellen drittens „Normatives und Empirisches" heraus. Dabei beleuchtet die überwiegende Zahl der Autoren eigene empirische Projekte. Nils Neuber geht der Frage nach, wie Wirkungen normativer Leitideen des Schulsports empirisch überprüfbar sind und resümiert in einem Zwischenfazit, dass „die sportpädagogische Wirkungsforschung mit erheblichen Problemen zu kämpfen" (S. 13) hat. Über eine Ermittlung bisheriger Forschungsdesiderate kommt er zu der Forderung, dass es einer empirisch überprüfbaren Theorie der sportpädagogischen Intervention bedürfe, um signifikante Befunde schulsportlicher Wirkungsanalysen zu erzeugen. Er postuliert eine Forschungsstrategie kleiner Schritte, die ihren Ertrag aus der Kohärenz der Einzelbefunde speist. Dies wirkt sympathisch, da durchführbar, könnte aber dem derzeitigen mainstream des „Empirismus im Bildungsbereich" gegenüber ein Sonderweg sein. Zusammenfassend stellt Nils Neuber fest, dass es lohnenswerte Möglichkeiten zur empirischen Überprüfung normativer Leitideen im Schulsport gibt und fordert dazu auf, die Evaluation der Wirkungen des Schulsports systematischer als bisher zu verfolgen. Ebenfalls im ersten Abschnitt geht Andreas Hoffmann empirischen Desideraten einer normativen Fachdidaktik nach und Dietrich Kurz bearbeitet die empirischen Implikationen fachdidaktischer Konzepte bevor abschließend Andre Gogoll am Puls der Bildungsdiskussion die vorliegenden Kompetenzmodelle für das Schulfach Sport prüft. Er kommt insgesamt zu dem Fazit, dass die von den Kollegen Albrecht Hummel und Elk Franke vorgestellten Kompetenzmodelle für das Unterrichtsfach Sport (so noch) nicht tragfähig sind. Dies liege daran, dass die Besonderheit unseres Faches nicht auf die körperliche Bewegung zu reduzieren sei und deren Gehalt nicht auf den Modus ästhetisch-expressiver Weltbegegnung reduziert, sondern vielmehr die gesamten allgemeinbildenden Möglichkeiten des Faches aufgegriffen werden sollten. Daraus ergibt sich Andre Gogolls Forderung, im Zuschnitt deutlich selbstbewusster als bisher Kompetenzmodelle für das Schulfach Sport zu entwickeln. In den Beiträgen des zweiten Abschnitts wird der forschungsmethodologische Aspekt der Normativität des Empirischen deutlich. Auch wenn die Re-Analysen Detlef Kuhlmanns zur SPRINT-Studie und zur Schulsportstudie in Bayern für mich - wie er am Ende selber einräumt - einer mangelnden Dialektik unterliegen, da die verantwortlichen Forscherinnen und Forscher nicht Stellung beziehen können, stellen sie doch Wichtiges heraus: Der weitreichende Einfluss der Normativa auf die Forschungsmethodik darf nicht als implizit akzeptiert werden. Es gilt jeweilig explizit darzulegen, unter welchen Prämissen geforscht wird, um die ermittelten Ergebnisse diesbezüglich zu reflektieren. In die gleiche Richtung geht auch Mattias Schierz´ und Jörg Thieles Forderung am Ende ihres bisweilen voraussetzungsreich geschriebenen Beitrages. Die gewählten Beispiele empirischer Forschung - eine schulbegleitende Praxisforschung, zur Talentförderung und Studien zur „täglichen Sportstunde" -weisen bezüglich des Verhältnisses der Forscher zum Gegenstand deutliche Unterschiede auf. Ansätze der Praxisforschung - Ralf Lagings Beitrag in diesem Band weist mit dem Begriff der „Handlungsforschung" auf einen gleichen Forschungsansatz hin - sehen eine Einbindung der Akteure im Feld als (Co-)Forscher vor, das heißt, dass z. B. Lehrerinnen und Lehrer ihre eigene Arbeit erforschen. Eine „klassische" Strategie wurde dagegen in der Dortmunder Studie zur täglichen Sportstunde gewählt. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beforschten die „tägliche Sportstunde" von außen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Ansätze stellen Matthias Schierz und Jörg Thiele heraus, dass Erkenntnisse zur sportpädagogischen Wirklichkeit eine methodologische Frage der jeweiligen Operationalisierung und Indikatorenbildung hinsichtlich des Forschungsgegenstandes sind. Die Forschungsergebnisse werden dadurch determiniert, wie der Forschungsgegenstand für das Forschungsvorhaben handhabbar gemacht wird. Sie fordern dazu auf, dieses in Forschungsprojekten zu reflektieren und die normativen Voraussetzungen empirischer Forschung kritisch in den Blick zu nehmen. Tim Bindel stellt mit Blick auf seine Arbeiten zunächst im Kontrast zu den zuvor dargestellten normativen Implikationen empirischer Forschung in der Sportpädagogik heraus, dass bei ethnografischen Forschungen die normative Dimension zunächst keine Rolle spielt. Seiner Meinung nach weist auch der Sport „zahlreiche Dinge auf, die wir erst verstehen müssen, bevor wir normativ eingreifen" (S. 120). Aber auch Tim Bindel verdeutlicht mit einem eingängigen Beispiel, dass ethnografische Forschung so normfrei dann doch nicht ist. Dies wurde für ihn körperlich spürbar. Unbehagen überkam ihn im Rahmen einer Studie, in der das Verhältnis zwischen einer Lehrkraft und ihrer Schülergruppe dadurch gekennzeichnet war, dass die Schülerhandlungen im Zeichen von Angst vor einer Bestrafung durch die Lehrkraft geprägt waren. Seine Beobachtungen wurden aufgrund seiner Ablehnung dieses „Erziehungsstils" automatisch vor einer normativen Folie reflektiert. In der Darstellung bin ich zwischen den beiden Ebenen „Normatives im Empirischen" und „Normatives und Empirisches" gesprungen, die ich so trennscharf nicht erkannt habe. Dies tut aber m. E. dem Informationsgrad des Bandes keinen Abbruch. Nicht erwähnt habe ich Beiträge des zweiten und dritten Abschnittes zur Konstruktion des Kindes in der neuen Kindheitsforschung (Charlotte Röhner), den normativen Implikationen sportbezogener Jugendforschung (Ralf Sygusch, Hans-Peter Brandl-Bredenbeck und Ulrike Burrmann), zur kasuistischen Unterrichtsforschung (Petra Wolters), über Differenzstudien (Peter Neumann), zu Sportlehrplänen (Günther Stibbe) oder abschließend zum Thema „Koedukation" (Judith Frohn). Insgesamt erfüllt dieser Sammelband m.E. in besonderer Weise die Anforderungen für einen exponierten Platz im Regal. Die versammelten Beiträge bieten aufschlussreiche Einblicke in die Normen und das Empirische der Sportpädagogik. Für wissenschaftlich interessierte Sportpädagogen werden viele Beiträge eine Pflichtlektüre sein. Die umfangreichen methodologischen Ausführungen in den einzelnen Beiträgen mögen „Praktiker" zunächst als Enttäuschung wahrnehmen, wenn sie auf der Suche nach dem „Sein" sind. Die Wege zum „Sein" erweisen sich m. E. aber als wichtiger Ertrag dieses Bandes für die Arbeit der empirischen Sportpädagogik. Auch Sportlehrkräften, wenn sie sich mit Aufgaben der Schulsportentwicklung an ihrer Schule befassen, kann dieser Band als Wegweiser dienen. Insbesondere diese Zielgruppe wird der Buchpreis von € 44,80 allerdings abschrecken. Die download-Version von knapp €5,- erscheint da schon interessanter. Abschließend bleibt eine Frage: Motorische Zielvorstellungen und deren Erreichung habe ich vergeblich gesucht. Ich fühlte mich bei der Suche in guter Gesellschaft, da Dietrich Kurz in einer Fußnote bemerkt, dass für ihn interessanterweise „Ergebnisse motorischer Tests für die Diskussion vom Sollen und Sein nirgends in Betracht gezogen" werden. Warum aber sind motorische Leistungen von Schülerinnen und Schülern kein Thema für die empirisch arbeitenden Sportpädagogen?