Die Stiftung „Biomedizinische Alkoholforschung" (mit Sitz an der 2. Medizinischen Universitätsklinik in Mannheim) legt ein schmales Büchlein vor, welches einer wichtigen Zielsetzung der Stiftung gerecht wird, indem es das „rechte Maß" in der Abgrenzung vom Übermaß des Alkoholkonsums behandelt. Manfred V. Singer, Internist und Klinikchef in Mannheim und im benachbarten Heidelberg, hat die Soziologin und Philosophin Judith Rosta und den Biologen Peter Feick als Mitautoren für dieses ausgezeichnet ausgestattete Bändchen gewonnen, das in aller Bescheidenheit nicht nur eine „kleine Kulturgeschichte des Alkohols", sondern dazu eine echte Anthropologie des rechten Alkoholgenusses vorlegt. Schon der historische Rückblick ist sehr informativ, wenn man lernt, dass bereits im alten Mesopotamien das Bier aufgrund seines nutritiven Stellenwertes als Hauptnahrungsmittel bezeichnet wurde (3000 v. Chr.). In Ägypten war der Wein im 4. Jahrtausend vor Christus ein Luxusgetränk, das den gehobenen Kasten vorbehalten war. In Europa (Kreta, mykenische Kultur) findet sich der Alkohol viel später (2. Jahrtausend v. Chr.), um erst um etwa 800 v. Chr. in Italien zu „landen". Etwa zur gleichen Zeit finden wir dann die Bezüge zum Wein in Palästina, damit in den Schriften des Alten Testaments. Im Neolithikum war offensichtlich in unseren Breiten die Produktion von Brot und Bier an dieselben Produktionsstätten gekoppelt, sodass auch hier der Nahrungscharakter des Bieres klar zum Ausdruck kommt. Später gewinnt der Alkohol Bedeutung in der alten Medizin (Bier als Klysma, Wein zur Schmerzbekämpfung, dies bis vor 100 Jahren!). Die römische Soldateska erhielt Weinzuteilungen, um sich gegen Infekte zu schützen. Immer schon war der Wein in religiöse Praktiken involviert (Ägypten), wobei die Frauen vom Alkoholkonsum zumindest bei den Römern ausgeklammert waren. Frühe Reglementierungen des Alkoholkonsums finden sich bei den Ägyptern und in Mesopotamien, wo eigene Schankstätten eingerichtet wurden. Auch Plato (wie bekannt dem „Symposion" nicht abgeneigt) verbietet den Alkohol für junge Knaben und für Frauen im gebärfähigen Alter. In der Folge kommt es zu den bekannten Anwendungen von Wein und anderen Alkoholika zum Zwecke des Genusses, aber auch der Rauscherzeugung. Ein geordneter Weinkonsum findet seinen Platz in der Unterstützung des sozialen Gefüges, von Ritualen und zum Beweis eines gehobenen Standes Interessant ist hier zu bemerken, dass bereits ab dem 10. Jahrhundert der Alkoholismus als Krankheit aufgefasst wird. Das hindert aber nicht, dass er in späterer Zeit als strafbare Handlung eingestuft wird. Doch herrscht ab dem 20. Jahrhundert doch die Meinung vor, dass Alkoholismus als Krankheit zu bezeichnen sei. Im frühen 20. Jahrhundert sehen wir massive Antialkohol-Bewegungen im puristisch geprägten Norden und in den USA (Prohibition; gesetzliche Regelungen in Skandinavien), die im katholisch dominierten Mittel- und Südeuropa eigentlich keine Entsprechung finden. Andrerseits registriert man ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, dass die Alkoholfrage praktisch als Problem der Arbeiterschaft gewertet wird. Auch taucht besonders in protestantischen Gemeinschaften der Begriff der Alkohol-„Sünde" immer wieder auf, eine selbstverschuldete Krankheit, zu deren Therapie Pfarrer und Arzt zusammenwirken. In neuerer Zeit ergab sich immer mehr die Kluft zwischen politischen Bestrebungen und der Ökonomie, so wie etwa die Prohibition in den USA (1933), die wegen einer massiven ökonomischen Krise aufgehoben wurde. Seither gibt es wohl Steuer auf Alkoholika, um im Gegenzug Lohn- und Einkommenssteuern zu senken (Skandinavien). Sehr willkommen sollte für den interessierten Laien die kluge Differenzierung des Gebrauches gegenüber dem Missbrauch sein, wie auch die Angaben über den Alkoholgehalt verschiedenster Getränke. Damit unterstützen die Autoren die Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen, das rechte Maß zu finden, ein ewig aktuelles Problem seit vorchristlicher Zeit über das Mittelalter bis heute. Das Buch wird ergänzt durch Definitionen des moderaten, noch mit normalen Maßstäben zu rechtfertigenden Alkoholkonsums und der dabei „noch" vertretbaren Handlungsfähigkeit. Als Erläuterung wird das Resultat einer großangelegten Befragung deutscher Bürger mitgeteilt, der zufolge immerhin 10,7 Prozent sich selbst als hochriskante Trinker einstufen. Kurz wird auch die angeblich präventive Rolle des Alkohols (moderater Konsum verhindert koronare Herzkrankheit) erwähnt, endgültige Resultate lägen aber nicht vor, sodass sich keine generelle Empfehlung ableiten lasse. Das Buch schließt mit 10 Regeln aus der deutschen Informationsbroschüre der Stiftung, welche sich auf die tolerierten Mengen bezieht, die Schwellen der Gefahr aufzeigt, insbesondere für Patienten mit diversen Medikamenten und deren potentielle Interaktion mit Alkoholkonsum. Die Abbildungen sind gut gewählt, viele von ihnen farbige Reproduktionen, der Druck und die Qualität der Ausgabe sind vorzüglich, was die Lektüre zusätzlich erleichtert. Man ist erfreut über etwa 200 griffige Literaturzitate, welche die Gediegenheit der Recherche der Autoren bei der Erstellung des Textes unterstreicht. Das Buch, primär an den interessierten Laien gerichtet, aber voll gepackt mit medizinischer Information, ist als wertvolle und auch angenehme Lektüre geeignet, dem immer wieder beschworenen „Teufel Alkohol" auch ein paar anthropologisch-wertfreie Seiten abzugewinnen.