Die aus einer Aachener Dissertation hervorgegangene, in vielfacher Hinsicht überfällige Studie zu dem jahrzehntelang an der Universität Köln wirkenden Wirtschaftsgeographen, Historiker, Raumplaner und populären Wissenschaftsvermittler Bruno Kuske (1876-1964) verknüpft drei berechtigterweise ungleichgewichtige Erzähl- und Erklärungsstränge. Das bedeutendste Narrativ der „berufsbiographisch" angelegten Studie präsentiert ihren Protagonisten als einen jener Professoren „neuen Typs", an deren Beispiel die Eskalationsstufen der gegen das System von Versailles und die machtstaatliche Degradierung des Deutschen Reiches gerichteten ´kämpfenden Wissenschaft´ seit 1920 punktgenau nachzuvollziehen sind. Obgleich der Lamprechtschüler und frühere nationalsoziale Naumann-Anhänger Kuske den für Hochschullehrer der ersten Nachkriegszeit in der Tat „ungewöhnlichen" Beitritt in die SPD vollzog und in kooperativem Kontakt zu den Freien Gewerkschaften stand, suchte und fand er den Anschluss an die hochgradig revisionspolitisch aufgeladenen Forschungseinrichtungen der Weimarer Republik. Von Köln aus, wo die Erfahrung der Rheinlandbesetzung, der regionalen Demilitarisierung, der Ausweisungsmaßnahmen während des Ruhrkampfes u. a. den antifranzösischen Furor anheizten, knüpfte Kuske enge Verbindungen zu dem von Hermann Aubin und Franz Steinbach geleiteten „Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande". Wenig später vernetzte er sich mit kongenialen Institutionen der - in ihrer innerdeutschen Bedeutung nicht ganz angemessen erfassten - völkisch-tribalistischen Kulturraumforschung in Münster, Frankfurt und Freiburg. In diesem Verbundsystem, in dem auf der Basis gemeinsamer grenzkämpferischer Intentionen Politik und Wissenschaft als wechselseitig ergiebige „Ressourcen füreinander" (M. Ash) obligatorisch bereitstanden, war die ökonomisch-geographische und wirtschaftshistorisch-landeskundliche Kompetenz des westdeutschen Experten an sämtlichen Brennpunkten gefragt. Er beteiligte sich an der rheinischen Tausendjahrfeier, an der Saarforschungsgemeinschaft, am methodologisch wichtigen „Raumwerk Westfalen", am „Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums" und an der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft. Dabei generierte und kultivierte Kuske einen nicht nur für ihn bezeichnenden „ahistorischen Essentialismus, der Volk und Rasse zu Wirtschaftskulturträgern" erklärte. Diese Denkfigur, die die Leitungskraft einer nationalen oder regionalen , Gemeinschaft´ in unmittelbaren kausalen Zusammenhang mit ihrem vermeintlich a priori vorhandenen ethnischen ,Wesenskern´ rückte, popularisierte der Gelehrte mit außergewöhnlicher Intensität. Seine Zeitungsartikel, Vorträge und Rundfunkbeiträge verschafften ihm eine hohe Reputation unter den politisch-administrativen sowie den wirtschaftlichen Eliten der preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen. Auch ihre Fürsprache sorgte für einen lediglich von vorübergehenden Irritationen über die SPD-Zugehörigkeit beeinträchtigten, insgesamt jedoch reibungslosen Eintritt in das ´Dritte Reich´. Auch im nationalsozialistischen Deutschland stand Kuske in vorderster Front der antiwestlichen Wissenschaftsoffensive. In rassistischer Zuspitzung seiner überkommenen Lehrmeinungen reflektierte er mit Franz Petri über das „germanische Kulturerbe" Walloniens und Nordfrankreichs, und darüber hinaus engagierte er sich für eine noch junge, universitär verzahnte, vor allem systemkonforme Königsdisziplin: die Raumforschung. Das während des Krieges boomende Fach eröffnete dem ,nationalstilistischen´ ökonomischen Ansatz Kuskes exzellente Entfaltungsmöglichkeiten. Mit ihnen war eine wenigstens partielle Distanz zur kulturell-historisch argumentierenden Westdeutschen Forschungsgemeinschaft verbunden. Die „Expansion der Kölner Westforschung" nach Nordfrankreich, Belgien und in die Niederlande erreichte 1942 bis 1944 ihren Höhepunkt. Im Rahmen der SS-lancierten, von Engels sorgfältig rekonstruierten „Germanischen Forschungsaufgabe" stand die ökonomisch-infrastrukturelle ´Neuordnung´ des Raumes unter deutschen Hegemonialinteressen im Vordergrund. Sie wurde auch dadurch erforderlich, dass die (zwangsweise) Mobilisierung abertausender indigener Siedler für den eroberten Osten vorgesehen war. Kuskes Beteiligung an dieser den Generalplan Ost gleichsam flankierenden Forschung hat seinem persönlichen und professionellen Renommee nach 1945 keinen Abbruch getan. Schon in den frühen 1950er Jahren zählte er wieder zu den Hauptakteuren eines Wissenschaftszweiges, der sich nunmehr die Identifikation grenzüberschreitender Wirtschaftsräume mit dem Nahziel einer europäischen Einigung auf die Fahne geschrieben hatte. Der Ernst-Moritz-Arndt-Preisträger von 1944 wurde zehn Jahrespäter mit dem Bundesverdienstkreuz dekoriert. Dieser Umstand verweist auf eine zweite Möglichkeit, Kuskes Vita in Augenschein zu nehmen. Unter ihrem Vorzeichen träte, wie nur knapp angetippt werden kann, die Geschichte der verblüffenden, fast grotesken Elastizität des politischen Einflusswillen seines deutschen Gelehrten in Erscheinung. Im Kaiserreich, in zwei Republiken und in der Führerdiktatur hat sich Kuske bewährt. Darin spiegelt sich nicht etwa ein wohlfeiler Opportunismus wider, denn er hielt ja stets am Kern seiner essentialistischen Axiomatik fest. Eher reflektiert die biegsame Konformität einen nahezu unbeirrbaren Geltungsdrang, der, primär wenn es um die Nähe zur Macht und die Erlangung ihrer honorierenden Signaturen ging, eine ungebremste Dynamik entwickelte. Die Gesamtgeschichte wissenschaftlicher Eitelkeit und Egomanie ist bislang wohl noch nicht geschrieben worden. Der dritte Schwerpunkt lässt Kuskes Kriegs- und Nachkriegsforschung in den Vordergrund treten. Engels hat die Frage der inhaltlichen Kontinuität von West-Europakonzeptionen der 1940er und der 1950er Jahre als politisch-ideologisches Problem aufgefasst und demgemäß abgehandelt. Er bemerkt, dass Kuskes - pars pro toto zu nehmende - „auf Deutschland zentrierte Großraumideologie" zu kurz gegriffen habe, um der Idee, ein „positives, gleichberechtigtes und freies Europa zu begründen", in irgendeiner Weise gerecht werden zu können. Das wird prinzipiell richtig sein, trifft aber empirisch nicht immer ins Schwarze. Am Beispiel transnationaler landwirtschaftlicher Gestaltungsmodelle der 1950er Jahre ließe sich mühelos zeigen, dass die einschlägigen Blaupausen des vorangegangenen Jahrzehnts keineswegs vergessen waren. Möglicherweise treffen analoge Beobachtungen auch auf Kuskes Modelle zu, die, wie explizit dargelegt wird, nicht allein von ethnozentrischer Weltanschauung und deutschem Expansionsstreben geprägt waren,sondern auch von den gewiss handgreiflicheren Interessen der rheinisch-westfälischen Großindustrie. Ob sie in den doch schon wieder etwas kraftmeierischen 1950er Jahren altruistisch ad Acta gelegt worden sind, wäre gründlicher zu überprüfen. Dass damit eine Aufgabe benannt ist, die das Leistungsvermögen selbst ambitionierter, sachverständiger und solide interpretierender Doktorarbeiten übersteigt, sei bereitwillig eingeräumt.
Willi Oberkrome
Freiburg i. Br.