Marc Engels setzt mit seiner breit angelegten, gründlich recherchierten Dissertation die Reihe der Untersuchungen zur »Westforschung« mit der Darstellung der Tätigkeit des agilen Kölner Wirtschaftshistorikers und Wirtschaftsgeografen Bruno Kuske (1876-1964) verdienstvoll fort. Indem er bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückgreift und detailliert auf die Zeit der Weimarer Republik eingeht, kann er die Entstehung und Entwicklung der wirtschaftlichen Raumvorstellungen bei Kuske verdeutlichen und deren Vorarbeit auf die völkisch und rassisch geprägten Auffassungen der Nationalsozialisten darlegen. Obgleich Kuske Mitglied der SPD war, passte er sich dem nationalsozialistischen System entschieden an und setzte seine Arbeit seit 1934 unter neuem Vorzeichen fort. Seine Forschungen ordnen sich nahtlos in die von den Nationalsozialisten inszenierte Erforschung des deutschen und völkisch-germanischen Lebensraumes innerhalb des Reiches - und sehr bald darüber in das Ausland hinausgreifend - ein. Kuske übernahm die Leitungsfunktion im Sinne nationalsozialistischer Führung in der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Universität Köln und entwickelte, von persönlichem Ehrgeiz getrieben, mit einer Vielzahl von Initiativen Einfluss auf die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung sowie auf die in der auf Expansion gerichteten Westpropaganda unkoordiniert aber zielstrebig zusammenarbeitenden wissenschaftlichen Organisationen. Er baute ein für die nationalsozialistischen Dienststellen arbeitendes Netzwerk von Forschern auf. In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen, Ausstellungen und Veranstaltungen warb Kuske zudem für die Entstehung eines expansionistischen Klimas im Sinne der Nationalsozialisten und deren Lebensraumvorstellungen. Im Mittelpunkt seiner wissenschaftlicher Überlegungen stand der wirtschaftliche Westraum mit der Rheinschiene und dem Zentrum Köln. Im Kriege weiteten sich die Raumkonzepte zu einem Großwirtschaftsraum unter Einbeziehung der Niederlande, Belgiens und Nordfrankreichs aus; ein Forschungsteam unter der Führung des SS sollte schließlich interdisziplinär den germanischen Großraum erforschen und die Eingliederung in den deutschen Herrschaftsbereich vorbereiten. Die nationalsozialistische Lebensphase Kuskes fand eine jähe Unterbrechung mit seiner vorsorglichen Verhaftung durch den SD im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler. Trotz seines Eifers hatte der Wirtschaftswissenschaftler die Nationalsozialisten nicht restlos von seiner Loyalität überzeugt. Kuske versuchte 1946, nun wieder Mitglied der SPD und Leiter der Abteilung für Wirtschaft bei der Provinzialregierung in Düsseldorf, seine funktionalen Raumvorstellungen über die Bildung einer erneuerten Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung ins Spiel zu bringen. Bei der Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen war er gutachtlich tätig. Ob aber seine europäischen Großraumvorstellungen in der Vorgeschichte der Europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle gespielt haben - wie der Autor meint - scheint mir allerdings fraglich. Die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung des nach Macht und Einfluss strebenden Wissenschaftlers Kuske, die im »Dritten Reich« zur wirtschaftswissenschaftlichen Komponente der völkisch-rassischen »Westforschung« und Westpropaganda wurde, kann Marc Engels fundiert beschreiben. Er leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus.