Die Körperschaften der Europäischen Union verfolgen eine grundsätzlich liberale Sprachenregelung. So treffen sie zwar eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Amts- und Arbeitssprachen, setzen jedoch beide Formen einander gleich. Somit ist jede Sprache, die in einem Mitgliedsland der EU in offiziellen Kontexten Verwendung findet, auf europäischer Ebene zugleich Amts- und Arbeitssprache. Mit der fünften Erweiterung der EU von 2004 erhöhte sich die Zahl der Amts- und Arbeitssprachen von 11 auf 20. Es ist u.a. dieser Moment des Übergangs, den Cornelia Streidt in ihrer Studie in den Blick fasst. Die Studie arbeitet mit empirischen Daten zweier Umfragen (2000 und 2003), deren Design auf Schlossmacher (1996) basiert. Nachdem in der ersten Erhebungsphase die EP-Abgeordneten der 15 Mitgliedsländer befragt wurden, berücksichtigt die Verfasserin in der zweiten Erhebung die Beobachter und künftigen Abgeordneten der zehn Beitrittsländer von 2004. Zwar stellen die Daten nicht den objektivierbaren Ist-Zustand der Sprachverwendung im EP dar, sondern vielmehr die Spracheinstellungen der befragten Europaabgeordneten und EP-Beobachter der neuen Mitgliedsländer einerseits sowie ihre Selbsteinschätzungen über den — wohlgemerkt - eigenen Sprachgebrauch andererseits. Betrachtet man aber die Komplexität der europäischen Institutionen, deren Arbeitsbereiche auch nur teilweise öffentlich sind, ist es naheliegend, dass nur eine Untersuchungsmethodik wie die vorliegende die sprachenpolitische und arbeitssprachliche Realität zumindest annäherungsweise beschreiben kann. Gleichfalls ist jedoch anzusetzen, dass die erhobenen Sprachattitüden und language beliefs der Europaabgeordneten den Sprachgebrauch auch nur tendenziell abbilden können. Neben dieser zunächst deskriptiv angelegten Perspektive geht es der Verfasserin darum, den Status der französischen Sprache im europäischen Verwendungsrahmen zu untersuchen. Es gelingt ihr nachzuzeichnen, dass das Französische als Sprache der politischen Kommunikation auf europäischer Ebene - trotz vielfältiger sprachpolitischer Maßnahmen zur Stärkung der Frankophonie in den neuen Mitgliedsstaaten - im Abnehmen begriffen ist [82] und der Vorzug - im internationalen Vergleich nicht verwunderlich - dem Englischen gegeben wird.Die ersten beiden Kapitel sind den politischen Realia des EP, seiner Geschichte, Entwicklung, Zusammensetzung und Binnenorganisation [4-18], sowie dem Sprachenregime in der EU [19-61] gewidmet. In diesen Kapiteln werden die Grundlagen für die später folgende Interpretation der Daten bereitet und das hinreichend notwendige Wissen um die Strukturen des EP und der Sprachenpolitik der EU dargelegt. Die Verfasserin zeigt sich äußerst bemüht, ihre Darstellungen möglichst umfangreich zu gestalten. Dies gelingt ihr sicherlich uneingeschränkt im ersten, jedoch nur eingeschränkt im zweiten, die Sprachpolitik erläuternden, Kapitel. Letzteres ist mit einem Umfang von vierzig Seiten im Verhältnis zu den anderen Gliederungspunkten recht umfangreich geraten und lässt u.a. die stringente Abfolge des ersten Kapitels vermissen. Es handelt sich in diesem Abschnitt um eine recht heterogene Sammlung von Aspekten der Sprachenpolitik in den europäischen Institutionen. Streng genommen könnte eine Studie zum EP auch gut ohne einen separat diskutierten <
Wohl kaum lässt sich die Statusfrage des Französischen (sowohl vom Allgemeinplatz ihres Untergangs und der Frage eines Wiedererstarkens durch die fünfte und sechste Erweiterung) im Rahmen der gegebenen Fragestellung der Verwendung der offiziellen Sprachen im EP beantworten. Leider geht diese wiederkehrende Fokussierang doch deutlich zu Lasten jeglichen europäischen Gedankens und steht in hartem Kontrast zu der bewusst gesetzten Vielsprachigkeit der europäischen Institutionen. Ähnlich verdrießlich ist der Umstand, dass die Autorin auf das viel zu beliebte Stereotyp zurückgreift, die Schwierigkeit der Arbeitsorganisation in plurilingualen Institutionen mit dem Turmbau zu Babel zu vergleichen.2
Das einleitende Gedankenspiel, ob der mythische Turmbau zu Babel gelungen wäre, wenn das Kommunikationsproblem beseitigt worden wäre, bietet kaum eine historische Grundlage für die Frage: <<[L]es constructeurs et architectes de la nouvelle Eu-rope peuventils se permettre un echec similaire ä celui de leurs predecesseursde l´ere pre-antique?>> [1]. Sie geht m. E. jedoch zu weit, den Verantwortlichen der Europäischen Vertragsgemeinschaften die mythischen Erbauer von Babel als <
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Konsequenterweise weist sie dem Englischen dann auch den Status <
2
Dies ist nicht einzigartig; neben unzähligen Zeitungsartikeln greift beispielsweise auch Ross (2003) auf eine entsprechende Rhetorik zurück.
Literatur
Ross, Andreas, Europäische Einheit in babylonischer Vielfalt, Frankfurt am Main etal., Lang, 2003.Schlossmacher, Michael, Die Amtssprachen in den Organen der Europäischen Gemeinschaft: Status und Funktion, Frankfurt am Main et al., Lang, 1996.
Göttingen
Steffen Thomas Buch