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Cornelia Streidt
LES LANGUES AU PARLEMENT EUROPÉEN :
L'USAGE DES LANGUES OFFICIELLES PAR LES EURODÉPUTÉS
Sprache & Kultur
Rezension
Zeitschrift für romanische Philologie 2010 Band 126, Heft 3, 18.09.2010

Die Körperschaften der Europäischen Union verfolgen eine grundsätzlich liberale Sprachenregelung. So treffen sie zwar eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Amts- und Arbeitssprachen, setzen jedoch beide Formen einander gleich. Somit ist jede Sprache, die in einem Mitgliedsland der EU in offiziellen Kontexten Verwendung findet, auf europäischer Ebene zugleich Amts- und Arbeitssprache. Mit der fünften Erweiterung der EU von 2004 erhöhte sich die Zahl der Amts- und Arbeitssprachen von 11 auf 20. Es ist u.a. dieser Moment des Übergangs, den Cornelia Streidt in ihrer Studie in den Blick fasst. Die Studie arbeitet mit empirischen Daten zweier Umfragen (2000 und 2003), deren Design auf Schlossmacher (1996) basiert. Nachdem in der ersten Erhebungsphase die EP-Abgeordneten der 15 Mitgliedsländer befragt wurden, berücksichtigt die Verfasserin in der zweiten Erhebung die Beobachter und künftigen Abgeordneten der zehn Beitrittsländer von 2004. Zwar stellen die Daten nicht den objektivierbaren Ist-Zustand der Sprachverwendung im EP dar, sondern vielmehr die Spracheinstellungen der befragten Europaabgeordneten und EP-Beobachter der neuen Mitgliedsländer einerseits sowie ihre Selbsteinschätzungen über den — wohlgemerkt - eigenen Sprachgebrauch andererseits. Betrachtet man aber die Komplexität der europäischen Institutionen, deren Arbeitsbereiche auch nur teilweise öffentlich sind, ist es naheliegend, dass nur eine Untersuchungsmethodik wie die vorliegende die sprachenpolitische und arbeitssprachliche Realität zumindest annäherungsweise beschreiben kann. Gleichfalls ist jedoch anzusetzen, dass die erhobenen Sprachattitüden und language beliefs der Europaabgeordneten den Sprachgebrauch auch nur tendenziell abbilden können. Neben dieser zunächst deskriptiv angelegten Perspektive geht es der Verfasserin darum, den Status der französischen Sprache im europäischen Verwendungsrahmen zu untersuchen. Es gelingt ihr nachzuzeichnen, dass das Französische als Sprache der politischen Kommunikation auf europäischer Ebene - trotz vielfältiger sprachpolitischer Maßnahmen zur Stärkung der Frankophonie in den neuen Mitgliedsstaaten - im Abnehmen begriffen ist [82] und der Vorzug - im internationalen Vergleich nicht verwunderlich - dem Englischen gegeben wird.Die ersten beiden Kapitel sind den politischen Realia des EP, seiner Geschichte, Entwicklung, Zusammensetzung und Binnenorganisation [4-18], sowie dem Sprachenregime in der EU [19-61] gewidmet. In diesen Kapiteln werden die Grundlagen für die später folgende Interpretation der Daten bereitet und das hinreichend notwendige Wissen um die Strukturen des EP und der Sprachenpolitik der EU dargelegt. Die Verfasserin zeigt sich äußerst bemüht, ihre Darstellungen möglichst umfangreich zu gestalten. Dies gelingt ihr sicherlich uneingeschränkt im ersten, jedoch nur eingeschränkt im zweiten, die Sprachpolitik erläuternden, Kapitel. Letzteres ist mit einem Umfang von vierzig Seiten im Verhältnis zu den anderen Gliederungspunkten recht umfangreich geraten und lässt u.a. die stringente Abfolge des ersten Kapitels vermissen. Es handelt sich in diesem Abschnitt um eine recht heterogene Sammlung von Aspekten der Sprachenpolitik in den europäischen Institutionen. Streng genommen könnte eine Studie zum EP auch gut ohne einen separat diskutierten <>[19-24], ohne Seitenblick auf <> [27-30] oder einen Vergleich mit anderen internationalen Organisationen [30-36] auskommen. Ebenso zu hinterfragen sind in diesem Kontext die Unterkapitel zu den Internetseiten der EU [56-58] und zur Verfassungsdebatte [58-62]. Die hier angeführten Abschnitte haben kaum einen Mehrwert für das Verständnis des im Fokus der Arbeit stehenden EP und führen den Leser zu zwar wichtigen, für diese Studie jedoch randständigen Aspekten.In den folgenden Kapiteln stellt die Verfasserin die sprachenpolitische Geschichte der verschiedenen EU-Erweiterungen [62-79] sowie Überlegungen zur Rolle des Französischen in den Institutionen der Union [79-92] dar. Beide Kapitel tragen im Versuch, eine Positionsbestimmung der Sprachensituation bzw. der Förderung der französischen Sprache herbeizuführen, stark spekulative Züge. Der <> [79] sowie <> [80-92] entbehren sicherlich nicht fundierter und begründbarer Fakten. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Dynamik der Sprachverwendung derart ausblicksartig erfassbar ist. Überdies weist der Abschnitt <> [80] derart anmaßende Rechtfertigungen der historischen Bedingtheit und Notwendigkeit des Französischen als - ich impliziere - der einzig wahren und angemessenen Sprache des politischen Europas auf, dass man hier nicht mehr von Faktizität des Dargestellten sprechen kann. Das folgende Kapitel [93-107] legt die Untersuchungsmethodik unter detaillierter Beschreibung der beiden Umfragen und einiger in Ergänzung hierzu geführter Interviews [101s., 107] dar. Mit der ersten Befragung wurden für die folgenden Kommunikationszusammenhänge die jeweiligen prozentualen Anteile der Sprachverwendung in schriftlicher und/oder mündlicher Kommunikation ermittelt: Sprachverwendung im Parlament, im Kontakt mit der EP-Administration und im Kontakt mit der Europäischen Kommission, die eingehende Korrespondenz seitens der Europäischen Kommission und seitens der EP-Administration sowie die Sprachverwendung in informellen Situationen. Des Weiteren wurde ermittelt, ob Dolmetscher und Übersetzer zur Verfügung stehen und als wie zufrieden stellend deren Arbeit bewertet wird. Weitere Aspekte umfassen die Verfügbarkeit von übersetzten Dokumenten bzw. die Häufigkeit der Fälle, in denen die Muttersprache der Abgeordneten in Arbeitsgruppen ohne Übersetzung zugleich Arbeitssprache ist. Letztlich wurden Meinungsbilder zu den Notwendigkeiten einer Reform der europäischen Sprachenpolitik erhoben. Mit den notwendigen Modifikationen versehen, enthält der Fragebogen der zweiten Studie (2003) ein vergleichbares Themenspektrum.In der ersten Phase wurden 170 Abgeordnete (von 626 möglichen und 500 angeschriebenen) befragt und mit 18 Personen Interviews geführt. Die Daten von 2003 basieren auf den Angaben von 82 Abgeordneten (von 162 möglichen und 126 angeschriebenen) und auf acht weiteren Interviews. Das erste Untersuchungskorpus ist - betrachtet man die Zusammensetzung nach Nationalität - in sich nicht einheitlich. Somit kann auch keine Binnendifferenzierung des Korpus erfolgen. Dabei wäre es auch gerade interessant zu überprüfen, ob es nationale Tendenzen der Sprachverwendung gibt, um sodann die Frankophonie-Debatte in diesem Kontext zu führen. Erheblich unterrepräsentiert erscheinen die Anteile Spaniens (4 von 44 angeschriebenen und 64 möglichen Abgeordneten, in der Folge: 4/44/64), Großbritanniens (9/50/87), Italiens (11/59/87), Irlands (3/15/15) und Griechenlands (6/25/25), wohingegen Deutschland (47/85/99), die Niederlande (17/30/31) und Österreich (11/16/21), welche gemeinsam 45% des Korpus ausmachen, verhältnismäßig dominant erscheinen. Da der Fokus der Studie jedoch auch besonders auf die Rolle der französischen Sprache gerichtet ist, scheint der Anteil der frankophonen Länder (hier: Frankreich, Belgien und Luxemburg) mit 21% zu gering angesetzt. Die folgenden beiden Kapitel sind der Auswertung der Daten vorbehalten. Im ersten Teil werden die Ergebnisse gemäß ihrer Reihung in den Fragebögen der Datenerhebung dargestellt und diskutiert [108-144]. Unterschieden wird zwischen den Ergebnissen der ersten und zweiten Befragung; eine Verschränkung und Synopse beider Perspektiven findet jedoch nicht statt. Im zweiten Kapitel der Datenanalyse [145-152] werden sodann Fragen nach einer Reform des Sprachverwendungssystems erörtert. Insgesamt überzeugt die qualitative Auswertung der Daten. Ihre statistische Repräsentativität ist in Relation zum zugrunde gelegten Korpus jedoch mit Vorsicht zu nehmen. In der vergleichsweisen Betrachtung der Ergebnisse der Umfrage von 2000 mit der von 1994 stellt die Verfasserin heraus, dass die Verwendungshäufigkeit sowohl des Englischen als auch des Französischen in mündlichen wie schriftlichen, formellen wie informellen Kommunikationskontexten abgenommen hat. Diese Veränderung fällt deutlich zugunsten des Deutschen sowie der restlichen Sprachen aus. Die einzige Ausnahme stellt dabei die schriftliche Kommunikationder Generaldirektionen dar [118]. Hier lässt sich eine Zunahme des Anteils französischsprachiger Kommunikation ausmachen, die scheinbar klar zu Ungunsten der restlichen Sprachen mit Ausnahme des Englischen und Deutschen geht. Die Ergebnisse der zweiten Umfrage unterstreichen die allgemeine Tendenz: Die ermittelten Daten verdeutlichen, dass unter den Fremdsprachenkenntnissen der Beobachter das Englische dominant vertreten ist [139] und vorrausichtlich im Gebrauch zunehmen wird. Betrachten wir die Dateninterpretation der Verfügbarkeit von Sprachdiensten (Übersetzung und Synchronisation) mit den Aspekten der Zeitnähe des vorliegenden Translats sowie der Zufriedenstellung der Abgeordneten in den unterschiedlichen Arbeitssituationen, so legt diese Studie eine überzeugende Bestandsaufnahme vor. Die Tendenz ist jedoch wenig überraschend: Laut der Studie von 2000 sind in den Plenarsitzungen, den Parteisitzungen und Kommissionstreffen alle Sprachen mittels Dolmetschdienst zu mindestens 75% verfügbar und führen zu einer mindestens 50%igen Zufriedenheit. Die Arbeitsgruppentreffen und interparlamentarischen Delegationen werden hingegen stärker heterogen bewertet. Dänische, finnische, griechische, niederländische, portugiesische und schwedische Sprachendienste stehen in geringerem Maße zur Verfügung und werden vor allem für das Schwedische, teilweise auch für das Finnische bzw. das Griechische als unzufrieden stellend eingestuft. Der Übersetzungsdienst zeigt eine ähnliche Verteilung. Die hier integrierte Variable der Zügigkeit der Übersetzungserstellung deckt sich mit dem Bild, das die dominanten Sprachen vom Sprachendienst besser abgedeckt sind. Als einzige Ausnahme ist das Griechische anzuführen, für welches überraschend niedrige Verzögerungswerte angesetzt sind. Diese Werte können jedoch nur rein quantitativ betrachtet werden, da diejenigen Kriterien, die eine qualitative Tiefenanalyse ermöglichen, so z.B. die Fremdsprachenkenntnisse der EP-Abgeordneten, ihr Wille, in einer Fremdspräche zu arbeiten, und die Einschätzung der Qualität der Sprachendienste, bewusst nicht erhoben wurden [ls.]. Anders als es also der Titel der vorliegenden Monographie abzubilden versucht, handelt es sich insgesamt nicht um einen neutralen Beschreibungsversuch der Sprachproblematik im Europäischen Parlament. Vielmehr wird die plurilinguale Realität des EP als Hintergrundfolie verwendet, um den rückläufigen Gebrauch des Französischen als Sprache der politischen Kommunikation in Europa als Statusverlust zu interpretieren und damit verbundene Kollektivängste des Untergangs des Französischen zu skizzieren. Somit erklärt sich auch, dass die Verfasserin - wohl nicht nur auf der Suche nach Synonymen - das Französische <> [2, 116] oder wahlweise langue de Voltaire [79, 80, 143] beschreibt.1
Wohl kaum lässt sich die Statusfrage des Französischen (sowohl vom Allgemeinplatz ihres Untergangs und der Frage eines Wiedererstarkens durch die fünfte und sechste Erweiterung) im Rahmen der gegebenen Fragestellung der Verwendung der offiziellen Sprachen im EP beantworten. Leider geht diese wiederkehrende Fokussierang doch deutlich zu Lasten jeglichen europäischen Gedankens und steht in hartem Kontrast zu der bewusst gesetzten Vielsprachigkeit der europäischen Institutionen. Ähnlich verdrießlich ist der Umstand, dass die Autorin auf das viel zu beliebte Stereotyp zurückgreift, die Schwierigkeit der Arbeitsorganisation in plurilingualen Institutionen mit dem Turmbau zu Babel zu vergleichen.2
Das einleitende Gedankenspiel, ob der mythische Turmbau zu Babel gelungen wäre, wenn das Kommunikationsproblem beseitigt worden wäre, bietet kaum eine historische Grundlage für die Frage: <<[L]es constructeurs et architectes de la nouvelle Eu-rope peuventils se permettre un echec similaire ä celui de leurs predecesseursde l´ere pre-antique?>> [1]. Sie geht m. E. jedoch zu weit, den Verantwortlichen der Europäischen Vertragsgemeinschaften die mythischen Erbauer von Babel als <> [ib.] und somit als direkte historische Vorgänger zuzuordnen. Diese Tropen tragen hier nicht zu einem besseren Verständnis bei und wären somit besser entfallen. Generell finden sich einige rhetorische Wendungen, die dem politischen Diskurs entspringen und die vielleicht zu unbedarft übernommen werden: <> Adenauer, De Gasperi und de Gaulle können sicherlich nicht en passant als <> [8] bezeichnet werden. Ebenso muss der Verfasserin in ihrer Hoffnung, dass ihre Studien <> [3], rein aus einem auf Objektivität ausgerichteten wissenschaftlichem Ethos widersprochen werden. Es wäre der Publikation sicherlich gut bekommen, die stark historisch ausgerichteten Teile zu kürzen und die Fragestellung stringenter auf das EP zu beziehen sowie die doch stark ideologisch geprägten Bezüge zur Prädestination des Französischen als Sprache des politischen Europas zu objektivieren oder garausf allen zu lassen. Es würde dann ein objektiverer Ansatz zur Beschreibung der Sprachensituation im EP vorliegen, ohne den Nachgeschmack der Voreingenommenheit. Fokussieren wir die eigentlich im Zentrum der Arbeit stehenden Befragungen, so wäre es besser gewesen, die Ergebnisse in Form eines Aufsatzes als im Rahmen einer heterogenen und ausufernden Monographie darzustellen.

1 Konsequenterweise weist sie dem Englischen dann auch den Status <> [108] und dem Deutschen <> [118] zu. Doch auch wenn diese Formulierungen die Darstellung der jeweiligen kulturellen Wertigkeit und Tradition der Sprache bezwecken, muss doch insofern widersprochen werden, als diese Benennungen nicht adäquat auf sprachliche Varietäten des ausklingenden 20. und frühen 21. Jahrhunderts bezogen werden können.
2 Dies ist nicht einzigartig; neben unzähligen Zeitungsartikeln greift beispielsweise auch Ross (2003) auf eine entsprechende Rhetorik zurück.

Literatur
Ross, Andreas, Europäische Einheit in babylonischer Vielfalt, Frankfurt am Main etal., Lang, 2003.Schlossmacher, Michael, Die Amtssprachen in den Organen der Europäischen Gemeinschaft: Status und Funktion, Frankfurt am Main et al., Lang, 1996.
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Steffen Thomas Buch

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