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Rezensionen

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978-3-8322-6642-4
Marc Engels
Die "Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes"
Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik
Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Rezension
shVerlag, 24.02.2011

Die Berufsbiographie des bekannten und einflussreichen Kölner Wirtschaftshistorikers Bruno Kuske (1876-1964) ist das Thema der aufschlussreichen Aachener Dissertation von Marc Engels. Der Autor skizziert zunächst die akademische Sozialisation Kuskes (S. 39ff.), der von 1903 bis 1908 am Historischen Archiv der Stadt Köln seine Edition Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter erarbeitete (4 Bde., 1917-1923 publiziert), sich 1908 an der Kölner Handelshochschule habilitierte und 1912 dort eine Dozentenstelle für Wirtschaftsgeschichte übernahm. Von 1917 bis 1951 war der Sozialdemokrat Bruno Kuske dann der erste wirtschaftshistorische und wirtschaftsgeografische Ordinarius an einer deutschen Hochschule. Ehrgeiz, ein ausgeprägtes Streben nach materieller und öffentlicher Anerkennung sowie Sozialprestige kennzeichneten ihn ebenso wie Staats- und Autoritätsfixierthek. Engels kann überzeugend darlegen, dass der Wissenschaftler Kuske sich als Dienstleister für das politische und ökonomische System [verstand], der wirtschaftshistorisch-geographisches Wissen für Planungsaufgaben bereitstellte (S. 49): Kuske bemühte sich darum, die Geopolitik in die Wirtschaftsgeografie zu integrieren und in seiner Wirtschaftsraumlehre die konstituierenden natürlichen und historischen Faktoren eines Wirtschaftsraumes zu analysieren und als Entscheidungsgrundlage für die Politik aufzubereiten (S. 48). Engels zeichnet in seiner Untersuchung ausführlich nach, wie sich Kuskes von geopolitischem Großraumdenken geprägter Ansatz seit den Jahren des Ersten Weltkriegs über die Weimarer Republik und die NS-Zeit bis in den Zweiten Weltkrieg entwickelte und mehr und mehr radikalisierte, und wie er dabei zeitgenössische Theoreme wie Volk, Rasse und die Lebensraumtheorie in seine Arbeiten [inkorporierte] (S. 48). Kuskes Forschungen und Publikationen sind vor allem dem Wirtschaftsraum der Rheinlinie gewidmet, der für ihn mit angrenzenden Räumen vielfach verflochten war und dessen Zentrum für ihn die Stadt Köln darstellte. Betätigte sich Kuske während der Weimarer Zeit von Köln aus als unermüdlicher Forschungsorganisator und Netzwerker in der neuen Raumforschung sowie der Westforschung, der Volksforschung und der empirischen Wirtschaftsforschung, so ist hier bereits eine zunehmende Politisierung seiner Arbeit (S. 109) zu erkennen. Der >Politikberater< Kuske war in den Medien - auch dem modernen Radio - massiv präsent, vertrat lokale und regionale Interessen, etwa der Stadt Köln, fertigte parteiische Auftragsgutachten, hielt zahlreiche Vorträge, popularisierte die Wirtschaftsgeschichte im großen Stil und wirkte auch an wichtigen Ausstellungen mit. Stilisierte sich der Sozialdemokrat Kuske nach 1945 als Opfer und Gegner des Nationalsozialismus (kurzzeitige Verdrängung und Entzug des Lehrstuhls1933/34, mehrwöchige Inhaftierung nach dem 20. Juli 1944), so kommt Engels´ eingehende Untersuchung seines Agierens in den Jahren von 1933 bis 1945 zu einem deutlich anderen Befund: Der Kölner Wirtschaftshistoriker legte im nationalsozialistischen Deutschland nicht nur einen ausgesprochenen Opportunismus an den Tag (Ulrich S. Soenius), sodass er seine Karriere als Hochschullehrer und Publizist ungebrochen fortsetzen konnte. Vielmehr ging seine >Anpassung< soweit, dass Kuske in der Presse omnipräsent (S. 127) blieb, bei politischen Schulungen oder Propagandaveranstaltungen auftrat und seine Forschungsbemühungen und zahllosen Veröffentlichungen reibungslos in den Dienst der Lebensraumvorstellungen des NS-Regimes stellte. Der >Politikberater<, Netzwerker und Organisator von universitärer und außeruniversitärer Forschung wurde etwa im Rahmen der nationalsozialistischen Reichsstelle für Raumordnung sowie der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung aktiv, und Kuske leitete schließlich die Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Kölner Universität, deren Arbeit der nationalsozialistischen Expansionspolitik diente.) Als in der ersten Hälfte des Zweiten Weltkriegs für die diversen Planungsstäbedes NS-Regimes ethnische und ökonomische Neuordnungen - vor allem im Osten, aber auch in Westeuropa - auf die Agenda rückten, begann für die West-und Raumforschung eine neue Phase. Hatten Kuskes Arbeiten schon in der Weimarer Zeit eine antiwestliche Stoßrichtung aufgewiesen, so gestaltete sich sein von einer Großraumideologie geprägtes Konzept einer westeuropäischen Wirtschaftsgemeinschaft in dieser Phase zunehmend zur Zwangsvereinigung Westeuropas unter deutscher Herrschaft: Es war als ein germanischer Wirtschaftsraum in Nordwesteuropa konstruiert, in welchem den anderen Völkern nach völkischen beziehungsweise rassischen Kriterien bestimmte dienende beziehungsweise >ergänzende< Funktionszuweisungen zukamen (S. 187). Die Forschungsbemühungen, Publikationen und Ausstellungsarbeiten Kuskes sowie seiner Kollegen kreisten in immer raumgreifenderen und aggressiveren Varianten (S. 363) um dieses asymmetrisch gestaltete ökonomische Großraumkonzept, das vor allem die Niederlande, Belgien sowie Nordfrankreich erfasste, und als dessen Kern nach wie vor Köln fungierte. Im weiteren Verlauf des Zweiten Weltkriegs entwickelte der ehrgeizige Kölner Wirtschaftshistoriker und Wirtschaftsgeograf - zusätzlich zu seiner Netzwerkarbeit und seiner Publikationstätigkeit in den besetzten Westgebieten - dann auch eine geradezu erstaunliche Präsenz innerhalb nationalsozialistischer Medien auf Reichsebene (S. 266). Das im Haupttitel von Engels´ zitierte Schlagwort von der imaginären Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes prägte Kuske in einem Aufsatz für die Zeitschrift Westland 1934/44. Hinter diesem Organ stand die SS, und die Zeitschrift postulierte für den Westen eine >Gemeinschaft< zwischen den deutschen Herrschern und den Beherrschten, die für die Zwecke der deutschen Ostaggression instrumentalisiert werden sollte (S. 267). Kuske lieferte für die offiziellen Publikationen der westlichen Besatzungsverwaltungen [...] das wirtschaftsgeographisch-historische Expertenwissen als Herrschaftslegitimierung (S. 269) und war - so Engels - explizit bereit, sich an politischer Zweckmäßigkeit zu orientieren (S. 270). Von 1942 bis 1944 war Kuske schließlich intensiv in die Germanische Forschungsaufgabe involviert. Es handelte sich um ein Großraumforschungsprojekt der SS, welches als Forschungsverbund für den Westen eine komplementäre Lebensraumplanung zu den Ostplanungen darstellen sollte und aus einem Niederlande- sowie einem Belgien-Nordfrankreich-Programm bestand. Seine nachträglichen Distanzierungsbemühungen aus dem Jahr 1945 kann Engels widerlegen (S. 351). Nach Kriegsende konstruierte Kuske sich im Sommer 1945 einen neuen Lebenslauf, indem er Weglassungen und Erfindungen, Über- und Untertreibungen, Halb- und Unwahrheiten kombinierte (S. 371). In diversen Funktionen und als Hochschullehrer versuchte der Wissenschaftsmanager Kuske nun noch einmal vergeblich, eine gleichsam defensive Variante seiner Westforschung in einer staatlich gelenkten Raumforschung durchzusetzen. Marc Engels´ detaillierte Studie über Bruno Kuske liefert zahlreiche neue Erkenntnisse zur sogenannten Westforschung sowie den beteiligten Akteuren und stellt damit einen wichtigen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte des Nationalsozialismus dar. Zugleich ist seine Untersuchung auch für die Regionalgeschichte der NS-Zeit von großem Interesse.Stefan Wunsch, Köln

978-3-8322-6642-4
Marc Engels
Die "Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes"
Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik
Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Rezension
Rheinische Vierteljahrsblätter, 30.09.2010

Die Aachener Dissertation möchte, wie Engels zu Beginn darlegt, am Beispiel der Berufsbiogra-phie des Kölner Wirtschaftswissenschaftlers und -geographen Bruno Kuske eine strikte Vorstellung revidieren: nämlich die einer von den konkreten politischen und historischen Bedingungen abgeho-benen und unabhängig forschenden Wissenschaft einerseits und andererseits einer Politik, „die aus dem Wissensangebot das ihr Genehme auswählt". Die Arbeit solle vielmehr dazu beitragen zu erklä-ren, „warum sich die Wissenschaft mit ihrem traditionell hohen Autonomiegrad und -anspruch nicht nur reibungslos in die nationalsozialistische Gesellschaft einfügte, sondern aktiv an ihrer Gestaltung mitarbeitete" (S. 8). Zur Beantwortung dieser Frage geht Engels dem theoretischen Selbstverständnis Kuskes nach, der als Wirtschaftswissenschaftler in seiner Wirtschaftsraumlehre und der damit ver-bundenen grenzüberschreitenden ökonomischen Westforschung seinen gesellschaftlichen Nutzen ebenso in der Weimarer Republik wie unter der NS-Herrschaft unter Beweis zu stellen suchte. Zu diesem Zweck „produzierte" Kuske nicht nur nationalökonomisch „verwertbares Wissen", sondern suchte es zugleich auch in den Massenmedien seiner Zeit, vor allem im Rundfunk, aber auch in der Presse, zu verbreiten und zu popularisieren. Er betrieb damit die Durchsetzung einer neuen Wissen-schaftsdisziplin, die sich auf ein kommunikatives Netzwerk stützte und damit „Medialisierung", ja „Massenmedialisierung" betrieb und geschickt die eigene Machtposition Kuskes in der Wissen-schaftsorganisation stärkte. Kuske (geb. 1876 in Dresden, gest. 1964 in Köln) ist ein interessantes Beispiel dafür, dass es im Kaiserreich in einzelnen Fällen möglich war, dass ein begabter junger Mann aus einer Handwerkerfamilie, der nur die Volksschule besucht hatte, über den Besuch einer Präparandenanstalt und eines Volksschullehrerseminars nicht nur ein Universitätsstudium absolvieren und promovieren konnte. Es war ihm vielmehr sogar möglich, sich an der Kölner Handelshochschule schon 1908 auch zu habilitieren und 1919 an der neu gegründeten Kölner Universität Ordinarius für Wirtschafts-geschichte und 1923 auch für Wirtschaftsgeographie zu werden. In den Jahren 1917 bis 1923 hatte er die vierbändige Quellensammlung zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter veröffentlicht. Auch hatte er den Grundstock zum Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv gelegt, das er seit 1920 leitete. Die Kölner Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät wählte ihn 1923 zum Dekan und die Universität 1931 zum Rektor. Es war allerdings nicht ganz so, dass Kuske, wie S. 8 vermutet wird, 1923 in Köln „erster wirtschaftshistorischer und -geographischer Ordinarius einer deutschen Hochschule" gewesen wäre. Diese Verbindung war älter. Und was die Etablierung der Wirtschaftsgeographie als eigenständige Disziplin betrifft, so waren hierin schon 1912 Alfred Rühl, der „Altmeister der Wirtschaftsgeographie" (Erich Otremba) an der Universität Berlin und ebendort 1913 der Verkehrsgeograph Ernst Tiessen voraufgegangen. Die Grundqualifikation Kuskes lag auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte. Von hier aus erschloss er sich die Dimension der wirtschaftlichen Funktion und Verflechtung von Räumen und wurde nach dem Ersten Weltkrieg der erste wirtschaftswissenschaftliche Vertreter der sog. Westfor-schung. Hatte Kuske im Ersten Weltkrieg, im Unterschied etwa zu dem Bonner Nationalökonomen Hermann Schumacher, der an der Kriegszieldiskussion von 1914ff. einen erheblichen Anteil hatte, noch kaum eine Rolle gespielt, so gewann er nach dem Krieg als Forscher und Wissenschaftsmanager beträchtlich an Einfluss. Engels´ berufsbiographischer Ansatz zeigt, dass Kuske ein professionelles Netzwerk aufbauen konnte, das ihn bis 1933 in der rheinisch-westfälischen Wissenschaftsorganisa-tion, aber z.T. auch über diese Region hinaus, zu einem wichtigen Koordinator sowohl der Raum- als auch der grenzüberschreitenden Westforschung machte. Mit einer immensen Betriebsamkeit, die Engels im Einzelnen deutlich zeigt, „etablierte" Kuske sich als Experte für ökonomisch-historische Fragen Westdeutschlands, „positionierte" sich als neutraler und unabhängiger Fachmann und ent-wickelte „dynamische Aktivitäten mittels Vernetzung" (S. 188). Dieses von Kuske teils selbst aufgebaute, teils übernommene und benutzte wissenschaftliche Netzwerk, in das er sich selbst immer wieder einbrachte, war zwar in erster Linie auf Köln und den rheinisch-westfälischen Raum zentriert, reichte aber schon vor 1933 bis in die Berliner Hauptverwaltungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung, bis in das Zentrum der Reichs-stelle für Raumordnung, ins Berliner Institut für Konjunkturforschung und sogar ins Auswärtige Amt. Der Schwerpunkt lag aber im Dreieck der rheinischen Universitäten Bonn und Köln und der RWTH Aachen, darüber hinaus auch in Kuskes engen Kontakten zur Universität Münster und zum dortigen Westfälischen Provinzialinstitut. Vor allem im Rheinland selbst erwiesen sich die Beziehungen Kuskes zur provinzialen Landesplanungsgemeinschaft, zur Rheinischen Volkspflege und deren Gegenprogramm zur Kulturpropaganda der französischen Besatzungsmacht, zum Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde und nach 1933 zu den westlichen Aktivitäten der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften als sehr eng. Auch waren die schon 1920 von dem Duisburger Oberbür-germeister Most gegründete Volkswirtschaftliche Vereinigung im Rheinisch-Westfälischen Industrie-gebiet und das 1926 in Essen errichtete Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung für Kuske schon bald zu wichtigen Partnern geworden. Hinzu kamen besonders nach 1933 auch Kuskes Initiativen zur Gründung von Hochschularbeitsgemeinschaften für Raumforschung an den rheini-schen Universitäten, die Landesarbeitsgemeinschaften für Raumforschung und, besonders im Zweiten Weltkrieg, die Westdeutsche Forschungsgemeinschaft, die sich mit nationalsozialistischer Rückendeckung zunehmend mit grenzüberschreitenden, mehr und mehr auch propagandistischen und annexionistischen Plänen für die Niederlande, Belgien und Nordfrankreich befasste. In diesem verwirrenden Knäuel von Verbindungsfäden, die hier nicht einmal alle genannt werden können, konnte sich Kuske anfangs als dominierende Persönlichkeit einrichten. Engels´ Dissertation leistet hier grundlegende Erkenntnisarbeit. Es überrascht allerdings in der Darstellung Engels´, wie Kuske als ehemaliger Sozialdemokrat, der sich auch schon im Zusammenhang mit seinem außerhalb des Bildungsbürgertums gelegenen Engagement am Kölner Freigewerkschaftlichen Seminar (gegr. 1920) für zehn Jahre als nebenamtlicher Dozent eingebracht hatte, den Einschnitt von 1933 - lediglich durch eine kurzzeitige Amtsbeurlaubung an der Universität unterbrochen - überstehen konnte. Dabei haben wohl seine in der Weimarer Republik und während des alliierten Besatzungsregimes unter Beweis gestellte nationale Gesinnung und seine prominente Mitwirkung an der patriotischen Kölner Jahrtausendfeier von 1925 sowie seine bis dahin erwiesene Nützlichkeit für die Stadt Köln und ihre kommunale Universität eine Rolle gespielt. Engels legt hier aber auch den Gedanken nahe, dass 1933 möglicherweise auch die enge Zusammenarbeit Kuskes mit Walther Däbritz, dem nationalsozialistischen Leiter des Essener Rhei-nisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Affiliation des Berliner Instituts für Konjunk-turforschung) eine für Kuske „entlastende" und hilfreiche Bedeutung hatte. Kuske setzte sich in der Folge umso mehr für die nationalsozialistische Sache ein, als er behauptete, auch schon früher eine Synthese nationalen und sozialen Gedankenguts angestrebt zu haben, und wurde 1937 in die NSDAP aufgenommen, wobei - das sagt Engels allerdings nicht - sicher auch Gauleiter Grohe ein Wort mit-zureden hatte. Kuske nahm auch Aufträge für wissenschaftliche Ausarbeitungen über die Positionen des von der NSDAP unterstützten Grenz- und Auslandsdeutschtums an, schloss sich in der West-forschung der „Germanischen Forschungsaufgabe", besonders gegenüber den Niederlanden, an und wurde zu einem Verfechter wirtschaftlicher Großraumlösungen, bei denen z.B. die belgischen und niederländischen Nordseehäfen im Krieg schon als Teile einer großdeutsch-germanischen Infrastruk-tur verstanden und expansiv weiter verplant wurden. Aufträge der SS kamen hinzu. Auch wenn viele dieser Aktivitäten im Krieg oft weniger wissenschaftlichen als fast schon propagandistischen Charakter trugen, forderten sie doch die ganze Kraft eines rastlos arbeitenden Mannes, von dem man nicht so recht sagen konnte, wo er eigentlich seine Energie „tankte" und wo seine gesellschaftlichen und persönlichen Kraftquellen lagen. Engels „berufsbiographischer" Ansatz be-schreibt und analysiert hier fast ausschließlich Organisationsstrukturen oder -reibungen, wobei die Person Kuskes selbst eigentlich vage und grau bleibt. Das soziale Umfeld, seine Familie und Freunde bleiben außerhalb der Betrachtung. Hier stößt der berufsbiographische Ansatz, der auch in seiner spezifischen Beziehung zur biographischen Methode nicht genau definiert wird, m.E. an seine Grenzen. Denn abgesehen von der frühen Bildungsgeschichte Kuskes erfahren wir nur wenig und ledig-lich indirekt etwas über das private Umfeld dieser „Berufsbiographie". Welchen Familienstand Kuske überhaupt hatte, ergibt sich nur aus der Tatsache, dass es eine Tochter gab und er im August 1944, nach der „Aktion Gewitter" der SS, aus der Haft im Kölner Messelager einen Brief an seine Frau schreiben konnte, von der wir aber sonst, auch über ihr gesellschaftliches Umfeld, leider nichts erfahren. Die Tochter wird nur deshalb erwähnt, weil sie den Nachlass ihres Vaters im Historischen Archiv der Stadt Köln leider erst spät für die Forschung zugänglich gemacht hat. Selbst Kuskes Wohnquartiere in Köln, sein Verhältnis zu Nachbarn und Freunden oder seine Urlaubs- und Erho-lungsgewohnheiten, wenn er denn welche hatte, bleiben als soziale Merkmale seiner Vita fast ganz unerwähnt. Lediglich sein Wissenschaftlicher Assistent Walther Herrmann und sein Kollege Alfred Müller-Armack, mit dem ihn, wie es an einer Stelle heißt, „ein enges Verhältnis verband" (S. 309), werden an einigen Stellen nur im Kontext der wissenschaftlichen Zusammenarbeit erwähnt, so dass Effizienz und Friktionen der Kooperation weitgehend ohne persönliche Bezüge dargestellt sind. Insgesamt wäre jedoch auch dieser Hintergrund sozialgeschichtlich von Interesse gewesen. Vielleicht ist also der Begriff der „Berufsbiographie" hier doch etwas zu eng gefasst. Insgesamt muss man Engels´ Arbeit aber bescheinigen, dass sie die strukturellen und organisatorischen Aspekte als Kennzeichen des wirtschaftswissenschaftlichen „Netzwerks" Kuskes, das er z.T. noch über die Zäsur von 1945 hinaus erhalten konnte, gründlich erschlossen und analysiert hat. Dazu gehört auch die von Engels mit guten Gründen vorgenommene Einschränkung, dass es zwi-schen den europapolitischen Vorstellungen Kuskes in den Jahren nach 1940 und den europäischen Ideen der Nachkriegszeit kaum wirkliche Verbindungen gegeben hat und dass Kuske auf diese Pläne nach 1945 kaum noch innovativ Einfluss nehmen konnte. Eine solche umfassende Darstellung ist natürlich eine beachtliche Leistung. Dass Kuske in seiner Arbeit vor 1945 mehr und mehr auch ideo-logische Zugeständnisse an den NS-Geist gemacht hat, wird deutlich genug gesagt. Insofern stellt diese „Berufsbiographie", trotz der erwähnten methodischen Einwände, eine erhebliche kritische Leistung dar.

978-3-8322-6642-4
Marc Engels
Die "Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes"
Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik
Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Rezension
Jahrbuch für Reginalgeschichte 28, 04.08.2010

Die aus einer Aachener Dissertation hervorgegangene, in vielfacher Hinsicht überfällige Studie zu dem jahrzehntelang an der Universität Köln wirkenden Wirtschaftsgeographen, Historiker, Raumplaner und populären Wissenschaftsvermittler Bruno Kuske (1876-1964) verknüpft drei berechtigterweise ungleichgewichtige Erzähl- und Erklärungsstränge. Das bedeutendste Narrativ der „berufsbiographisch" angelegten Studie präsentiert ihren Protagonisten als einen jener Professoren „neuen Typs", an deren Beispiel die Eskalationsstufen der gegen das System von Versailles und die machtstaatliche Degradierung des Deutschen Reiches gerichteten ´kämpfenden Wissenschaft´ seit 1920 punktgenau nachzuvollziehen sind. Obgleich der Lamprechtschüler und frühere nationalsoziale Naumann-Anhänger Kuske den für Hochschullehrer der ersten Nachkriegszeit in der Tat „ungewöhnlichen" Beitritt in die SPD vollzog und in kooperativem Kontakt zu den Freien Gewerkschaften stand, suchte und fand er den Anschluss an die hochgradig revisionspolitisch aufgeladenen Forschungseinrichtungen der Weimarer Republik. Von Köln aus, wo die Erfahrung der Rheinlandbesetzung, der regionalen Demilitarisierung, der Ausweisungsmaßnahmen während des Ruhrkampfes u. a. den antifranzösischen Furor anheizten, knüpfte Kuske enge Verbindungen zu dem von Hermann Aubin und Franz Steinbach geleiteten „Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande". Wenig später vernetzte er sich mit kongenialen Institutionen der - in ihrer innerdeutschen Bedeutung nicht ganz angemessen erfassten - völkisch-tribalistischen Kulturraumforschung in Münster, Frankfurt und Freiburg. In diesem Verbundsystem, in dem auf der Basis gemeinsamer grenzkämpferischer Intentionen Politik und Wissenschaft als wechselseitig ergiebige „Ressourcen füreinander" (M. Ash) obligatorisch bereitstanden, war die ökonomisch-geographische und wirtschaftshistorisch-landeskundliche Kompetenz des westdeutschen Experten an sämtlichen Brennpunkten gefragt. Er beteiligte sich an der rheinischen Tausendjahrfeier, an der Saarforschungsgemeinschaft, am methodologisch wichtigen „Raumwerk Westfalen", am „Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums" und an der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft. Dabei generierte und kultivierte Kuske einen nicht nur für ihn bezeichnenden „ahistorischen Essentialismus, der Volk und Rasse zu Wirtschaftskulturträgern" erklärte. Diese Denkfigur, die die Leitungskraft einer nationalen oder regionalen , Gemeinschaft´ in unmittelbaren kausalen Zusammenhang mit ihrem vermeintlich a priori vorhandenen ethnischen ,Wesenskern´ rückte, popularisierte der Gelehrte mit außergewöhnlicher Intensität. Seine Zeitungsartikel, Vorträge und Rundfunkbeiträge verschafften ihm eine hohe Reputation unter den politisch-administrativen sowie den wirtschaftlichen Eliten der preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen. Auch ihre Fürsprache sorgte für einen lediglich von vorübergehenden Irritationen über die SPD-Zugehörigkeit beeinträchtigten, insgesamt jedoch reibungslosen Eintritt in das ´Dritte Reich´. Auch im nationalsozialistischen Deutschland stand Kuske in vorderster Front der antiwestlichen Wissenschaftsoffensive. In rassistischer Zuspitzung seiner überkommenen Lehrmeinungen reflektierte er mit Franz Petri über das „germanische Kulturerbe" Walloniens und Nordfrankreichs, und darüber hinaus engagierte er sich für eine noch junge, universitär verzahnte, vor allem systemkonforme Königsdisziplin: die Raumforschung. Das während des Krieges boomende Fach eröffnete dem ,nationalstilistischen´ ökonomischen Ansatz Kuskes exzellente Entfaltungsmöglichkeiten. Mit ihnen war eine wenigstens partielle Distanz zur kulturell-historisch argumentierenden Westdeutschen Forschungsgemeinschaft verbunden. Die „Expansion der Kölner Westforschung" nach Nordfrankreich, Belgien und in die Niederlande erreichte 1942 bis 1944 ihren Höhepunkt. Im Rahmen der SS-lancierten, von Engels sorgfältig rekonstruierten „Germanischen Forschungsaufgabe" stand die ökonomisch-infrastrukturelle ´Neuordnung´ des Raumes unter deutschen Hegemonialinteressen im Vordergrund. Sie wurde auch dadurch erforderlich, dass die (zwangsweise) Mobilisierung abertausender indigener Siedler für den eroberten Osten vorgesehen war. Kuskes Beteiligung an dieser den Generalplan Ost gleichsam flankierenden Forschung hat seinem persönlichen und professionellen Renommee nach 1945 keinen Abbruch getan. Schon in den frühen 1950er Jahren zählte er wieder zu den Hauptakteuren eines Wissenschaftszweiges, der sich nunmehr die Identifikation grenzüberschreitender Wirtschaftsräume mit dem Nahziel einer europäischen Einigung auf die Fahne geschrieben hatte. Der Ernst-Moritz-Arndt-Preisträger von 1944 wurde zehn Jahrespäter mit dem Bundesverdienstkreuz dekoriert. Dieser Umstand verweist auf eine zweite Möglichkeit, Kuskes Vita in Augenschein zu nehmen. Unter ihrem Vorzeichen träte, wie nur knapp angetippt werden kann, die Geschichte der verblüffenden, fast grotesken Elastizität des politischen Einflusswillen seines deutschen Gelehrten in Erscheinung. Im Kaiserreich, in zwei Republiken und in der Führerdiktatur hat sich Kuske bewährt. Darin spiegelt sich nicht etwa ein wohlfeiler Opportunismus wider, denn er hielt ja stets am Kern seiner essentialistischen Axiomatik fest. Eher reflektiert die biegsame Konformität einen nahezu unbeirrbaren Geltungsdrang, der, primär wenn es um die Nähe zur Macht und die Erlangung ihrer honorierenden Signaturen ging, eine ungebremste Dynamik entwickelte. Die Gesamtgeschichte wissenschaftlicher Eitelkeit und Egomanie ist bislang wohl noch nicht geschrieben worden. Der dritte Schwerpunkt lässt Kuskes Kriegs- und Nachkriegsforschung in den Vordergrund treten. Engels hat die Frage der inhaltlichen Kontinuität von West-Europakonzeptionen der 1940er und der 1950er Jahre als politisch-ideologisches Problem aufgefasst und demgemäß abgehandelt. Er bemerkt, dass Kuskes - pars pro toto zu nehmende - „auf Deutschland zentrierte Großraumideologie" zu kurz gegriffen habe, um der Idee, ein „positives, gleichberechtigtes und freies Europa zu begründen", in irgendeiner Weise gerecht werden zu können. Das wird prinzipiell richtig sein, trifft aber empirisch nicht immer ins Schwarze. Am Beispiel transnationaler landwirtschaftlicher Gestaltungsmodelle der 1950er Jahre ließe sich mühelos zeigen, dass die einschlägigen Blaupausen des vorangegangenen Jahrzehnts keineswegs vergessen waren. Möglicherweise treffen analoge Beobachtungen auch auf Kuskes Modelle zu, die, wie explizit dargelegt wird, nicht allein von ethnozentrischer Weltanschauung und deutschem Expansionsstreben geprägt waren,sondern auch von den gewiss handgreiflicheren Interessen der rheinisch-westfälischen Großindustrie. Ob sie in den doch schon wieder etwas kraftmeierischen 1950er Jahren altruistisch ad Acta gelegt worden sind, wäre gründlicher zu überprüfen. Dass damit eine Aufgabe benannt ist, die das Leistungsvermögen selbst ambitionierter, sachverständiger und solide interpretierender Doktorarbeiten übersteigt, sei bereitwillig eingeräumt.
Willi Oberkrome
Freiburg i. Br.

978-3-8322-6642-4
Marc Engels
Die "Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes"
Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik
Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Rezension
shVerlag, 21.04.2010

Marc Engels setzt mit seiner breit angelegten, gründlich recherchierten Dissertation die Reihe der Untersuchungen zur Westforschung mit der Darstellung der Tätigkeit des agilen Kölner Wirtschaftshistorikers und Wirtschaftsgeografen Bruno Kuske (1876-1964) verdienstvoll fort. Indem er bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurück greift und detailliert auf die Zeit der Weimarer Republik eingeht, kann er die Entstehung und Entwicklung der wirtschaftlichen Raumvorstellungen bei Kuske verdeutlichen und deren Vorarbeit auf die völkisch und rassisch geprägten Auffassungen der Nationalsozialisten darlegen. Obgleich Kuske Mitglied der SPD war, passte er sich dem nationalsozialistischen System entschieden an und setzte seine Arbeit seit 1934 unter neuem Vorzeichen fort. Seine Forschungen ordnen sich nahtlos in die von den Nationalsozialisten inszenierte Erforschung des deutschen und völkisch-germanischen Lebensraumes innerhalb des Reiches - und sehr bald darüber in das Ausland hinausgreifend - ein. Kuske übernahm die Leitungsfunktion im Sinne nationalsozialistischer Führung in der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Universität Köln und entwickelte, von persönlichem Ehrgeiz getrieben, mit einer Vielzahl von Initiativen Einfluss auf die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung sowie auf die in der auf Expansion gerichteten Westpropaganda unkoordiniert aber zielstrebig zusammenarbeitenden wissenschaftlichen Organisationen. Er baute ein für die nationalsozialistischen Dienststellen arbeitendes Netzwerk von Forschern auf. In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen, Ausstellungen und Veranstaltungen warb Kuske zudem für die Entstehung eines expansionistischen Klimas im Sinne der Nationalsozialisten und deren Lebensraumvorstellungen. Im Mittelpunkt seiner wissenschaftlicher Überlegungen stand der wirtschaftliche Westraum mit der Rheinschiene und dem Zentrum Köln. Im Kriege weiteten sich die Raumkonzepte zu einem Großwirtschaftsraum unter Einbeziehung der Niederlande, Belgiens und Nordfrankreichs aus; ein Forschungsteam unter der Führung des SS sollte schließlich interdisziplinär den germanischen Großraum erforschen und die Eingliederung in den deutschen Herrschaftsbereich vorbereiten.
Die nationalsozialistische Lebensphase Kuskes fand eine jähe Unterbrechung mit seiner vorsorglichen Verhaftung durch den SD im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler. Trotz seines Eifers hatte der Wirtschaftswissenschaftler die Nationalsozialisten nicht restlos von seiner Loyalität überzeugt. Kuske versuchte 1946, nun wieder Mitglied der SPD und Leiter der Abteilung für Wirtschaft bei der Provinzialregierung in Düsseldorf, seine funktionalen Raumvorstellungen über die Bildung einer erneuerten Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung ins Spiel zu bringen. Bei der Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen war er gutachtlich tätig. Ob aber seine europäischen Großraumvorstellungen in der Vorgeschichte der Europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle gespielt haben - wie der Autor meint - scheint mir allerdings fraglich.
Die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung des nach Macht und Einfluss strebenden Wissenschaftlers Kuske, die im Dritten Reich zur wirtschaftswissenschaftlichen Komponente der völkisch-rassischen Westforschung und Westpropaganda wurde, kann Marc Engels fundiert beschreiben. Er leistet damit einen wichtigenBeitrag zur Erforschung der Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus.Leo Haupts, Köln

978-3-8322-6642-4
Marc Engels
Die "Wirtschaftsgemeinschaft des Westlandes"
Bruno Kuske und die wirtschaftswissenschaftliche Westforschung zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik
Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Rezension
Leo Haupts, Geschichte in Köln Heft 56/2009, Dezember 2009, S. 393-394, 01.12.2009

Marc Engels setzt mit seiner breit angelegten, gründlich recherchierten Dissertation die Reihe der Untersuchungen zur »Westforschung« mit der Darstellung der Tätigkeit des agilen Kölner Wirtschaftshistorikers und Wirtschaftsgeografen Bruno Kuske (1876-1964) verdienstvoll fort. Indem er bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges zurückgreift und detailliert auf die Zeit der Weimarer Republik eingeht, kann er die Entstehung und Entwicklung der wirtschaftlichen Raumvorstellungen bei Kuske verdeutlichen und deren Vorarbeit auf die völkisch und rassisch geprägten Auffassungen der Nationalsozialisten darlegen. Obgleich Kuske Mitglied der SPD war, passte er sich dem nationalsozialistischen System entschieden an und setzte seine Arbeit seit 1934 unter neuem Vorzeichen fort. Seine Forschungen ordnen sich nahtlos in die von den Nationalsozialisten inszenierte Erforschung des deutschen und völkisch-germanischen Lebensraumes innerhalb des Reiches - und sehr bald darüber in das Ausland hinausgreifend - ein. Kuske übernahm die Leitungsfunktion im Sinne nationalsozialistischer Führung in der Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung an der Universität Köln und entwickelte, von persönlichem Ehrgeiz getrieben, mit einer Vielzahl von Initiativen Einfluss auf die Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung sowie auf die in der auf Expansion gerichteten Westpropaganda unkoordiniert aber zielstrebig zusammenarbeitenden wissenschaftlichen Organisationen. Er baute ein für die nationalsozialistischen Dienststellen arbeitendes Netzwerk von Forschern auf. In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen, Ausstellungen und Veranstaltungen warb Kuske zudem für die Entstehung eines expansionistischen Klimas im Sinne der Nationalsozialisten und deren Lebensraumvorstellungen. Im Mittelpunkt seiner wissenschaftlicher Überlegungen stand der wirtschaftliche Westraum mit der Rheinschiene und dem Zentrum Köln. Im Kriege weiteten sich die Raumkonzepte zu einem Großwirtschaftsraum unter Einbeziehung der Niederlande, Belgiens und Nordfrankreichs aus; ein Forschungsteam unter der Führung des SS sollte schließlich interdisziplinär den germanischen Großraum erforschen und die Eingliederung in den deutschen Herrschaftsbereich vorbereiten. Die nationalsozialistische Lebensphase Kuskes fand eine jähe Unterbrechung mit seiner vorsorglichen Verhaftung durch den SD im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler. Trotz seines Eifers hatte der Wirtschaftswissenschaftler die Nationalsozialisten nicht restlos von seiner Loyalität überzeugt. Kuske versuchte 1946, nun wieder Mitglied der SPD und Leiter der Abteilung für Wirtschaft bei der Provinzialregierung in Düsseldorf, seine funktionalen Raumvorstellungen über die Bildung einer erneuerten Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung ins Spiel zu bringen. Bei der Entstehung des Landes Nordrhein-Westfalen war er gutachtlich tätig. Ob aber seine europäischen Großraumvorstellungen in der Vorgeschichte der Europäischen Einigung nach dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle gespielt haben - wie der Autor meint - scheint mir allerdings fraglich. Die wirtschaftswissenschaftliche Politikberatung des nach Macht und Einfluss strebenden Wissenschaftlers Kuske, die im »Dritten Reich« zur wirtschaftswissenschaftlichen Komponente der völkisch-rassischen »Westforschung« und Westpropaganda wurde, kann Marc Engels fundiert beschreiben. Er leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Wissenschaftsgeschichte im Nationalsozialismus.

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